Der Blaue Reiter kehrt zurück

Das Lenbachhaus besitzt die weltweit größte Sammlung zur Kunst des "Blauen Reiter", eine der wichtigsten Bewegungen der künstlerischen Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Der "Blaue Reiter" war ein Künstlerkreis, der sich 1911 um Wassily Kandinsky, Gabriele Münter und Franz Marc in München gebildet hat. Anders als etwa die "Brücke"-Expressionisten in Dresden und Berlin, war der "Blaue Reiter" keine Gruppe mit enger Lebensgemeinschaft und einheitlichem Stil, sondern ein loser Zusammenschluß von Künstlern unterschiedlicher Ausprägung.

Ihre Bandbreite reichte von den strahlend farbigen, expressiven Landschaften und Porträts Gabriele Münters und Alexej Jawlenskys über die großen Tiersymbole von Franz Marc und die intellektuellen Bildschöpfungen Paul Klees bis zu den abstrakten Kompositionen Wassily Kandinskys. Ein verbindendes Moment war der gemeinsame Glaube an eine "geistige" Dimension der Kunst, die verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten Raum bot. Dieser spezifische, spirituelle Ansatz unterscheidet den "Blauen Reiter" ebenso von allen anderen Gruppierungen der damaligen Avantgarde wie das Prinzip der Internationalität, zu dem sich die Künstler explizit bekannten. Nicht zuletzt waren in ihrer Gruppierung mit Gabriele Münter, Marianne von Werefkin und Elisabeth Epstein Frauen selbstverständlich als gleichberechtigte Künstlerinnen tätig und auf den Ausstellungen vertreten.

Die weltbekannte Sammlung des "Blauen Reiter" verdankt das Museum in erster Linie der überaus großzügigen Stiftung von Gabriele Münter, der Malerin und bis 1914 Lebensgefährtin Wassily Kandinskys, die dem Lenbachhaus an ihrem 80. Geburtstag 1957 über 1000 Werke des "Blauen Reiter" zum Geschenk machte. Alle Werke stammen aus der Zeit des gemeinsamen Durchbruchs zu einer neuartigen, expressiven und farbintensiven Malerei vor 1914, die im Falle von Kandinsky in die Abstraktion münden sollte. Darunter befanden sich über 90 Ölbilder von Kandinsky, etwa 330 Aquarelle und Zeichnungen, das druckgrafische Werk, Skizzenbücher und Hinterglasbilder von seiner Hand, zudem über 25 von Münters eigenen Gemälden, etwa 200 Arbeiten auf Papier und ihr komplettes druckgraphisches Werk. Hinzu kamen Werke der Künstlerfreunde wie Franz Marc, August Macke, Alexej Jawlensky, Marianne von Werefkin und Paul Klee. Mit der großartigen Schenkung Gabriele Münters wurde die Städtischen Galerie im Lenbachhaus zu einem Museum von Weltrang.

In den vergangenen fünf Jahrzehnten hat die Städtische Galerie im Lenbachhaus in einem großen Zyklus wichtiger Ausstellungen beständig mit ihrer Sammlung des "Blauen Reiter" gearbeitet und nicht nur mit wegweisenden Künstler-Retrospektiven und Katalogbüchern etwa zu Franz Marc, Wassily Kandinsky, Gabriele Münter, Paul Klee und Alfred Kubin Maßstäbe gesetzt. Daneben hat das Lenbachhaus stets auch ein besonderes Augenmerk auf die Präsentation seiner Schausammlung des "Blauen Reiter" gerichtet. 1992 wurde in dieser Abteilung ein damals revolutionäres Konzept realisiert: Anstelle des seit den 1920er Jahren im Kanon der Museums-Präsentationen dominierenden "White Cube", der Vorherrschaft von Weiß als Wandfarbe in Ausstellungs- und Schauräumen, entschied man sich nach dem Amtsantritt von Helmut Friedel als Direktor für farbige Wände, zum Teil in leuchtendem Rot, Blau und Gelb.

Die farbige Wandgestaltung im Lenbachhaus wurde dabei durch umfangreiche historische Forschungen begleitet, die in der Publikation "Farbige Wände. Zur Gestaltung des Ausstellungsraums von 1880 bis 1930" dokumentiert sind. Seitdem hat das Beispiel des Lenbachhauses Schule gemacht: Heute gibt es kaum mehr eine Ausstellungspräsentation, die nicht mit farbigen Wänden arbeitet. In den Jahren 2006 bis 2009 kam ein weiteres Experiment hinzu: Vier Künstler, Franz Ackermann, Thomas Demand, Olafur Eliasson und Katharina Grosse, wurden eingeladen, sich mit jeweils einem Raum von Franz Marc, August Macke, Wassily Kandinsky und Alexej Jawlensky auseinander zu setzen.

Ergänzend zur Neupräsentation der Schausammlung wurde der Bestandskatalog "Der Blaue Reiter im Lenbachhaus", Helmut Friedel und Annegret Hoberg, München/ London/ New York/ 2013 neu überarbeitet. In ihn wurden zusätzliche Bilder von Robert Delaunay und Heinrich Campendonk aus der Sammlung aufgenommen, ferner Werke des Russen Wladimir Burljuk, des Deutsch-Amerikaners Albert Bloch und des Holländers Adriaan Korteweg, die ebenfalls mit dem "Blauen Reiter" in Verbindung standen. Er enthält unter den 132 Farbtafeln mit Bildkommentaren über 20 neu hinzu gekommene Werke, eine neu geschriebene Einführung und einen zusätzlichen Essay, "Wege des "Blauen Reiter" in das Lenbachhaus", der die Geschichte der Sammlung detailliert beschreibt.


Der Blaue Reiter kehrt zurück
3. Februar bis 31. Dezember 2016