Alles andere als eine Nebensache!

1. Januar 2014 Rosemarie Schmitt
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Sie hat chinesische Wurzeln, ist Amerikanerin, lebt in Deutschland, wo sie bei dem israelischen Professor Arie Vardi studiert, und liebt, jedenfalls zur Zeit ganz besonders, die russischen Klavierkompositionen. Claire Huangci ist 23 Jahre jung, und im just vergangenen Jahr veröffentlichte das Label Berlin Classics ihr Debütalbum. Oh ja, sie hätte in der Tat bereits viel früher ein Album auf den Markt bringen können, doch gut Ding will Weile haben, und diese CD (die zu meiner großen Freude ebenfalls als Schallplatte produziert wurde!) ist ein extrem gut Ding!

Der Titel des Albums lautet "The Sleeping Beauty". Claire Huangci ist zwar eine Schönheit, doch schlafen hört sich anders an. Das Spiel dieser Pianistin ist so wach, so lebendig, voller Lebensfreude- und Hunger, Kraft, Neugierde, unstürmischer Leidenschaft, indes erfaßt sie gleichermaßen die so typisch russische Melancholie, jene unsägliche Herzensschwere. Was diese junge, zierliche Pianistin in ganz besonderem Maße auszeichnet, ist ihre formidable Technik. Sie ist ganz gewiß eine große Musikerin, doch "sind so kleine Hände ..."

In einem Interview mit Jan Kampmeier, im August vergangenen Jahres, sagte Claire Huangci zu diesem Thema: "Ja, meine Hände sind sehr klein, und manchmal habe ich es schwer. Besonders die Prokofjew-Suite ist ganz sicher ein Stück für große Hände. An vielen Stellen habe ich gemerkt: Wenn ich größere Hände hätte, wäre das jetzt viel einfacher. Aber das sind dann Herausforderungen, die ich gerne annehme. Ich denke nicht gerne, kleine Hände seien ein Handicap, sondern versuche damit fertig zu werden, indem ich verschiedene Techniken ausprobiere und die Handstellung verändere. Es ist manchmal besser, kleine Hände zu haben, manchmal große – jede Handgröße hat ihre Vorteile. Bei diesen Stücken habe ich jedenfalls einen Weg gefunden, sie auch mit meinen kleinen Händen zu spielen."

Hin und wieder sind es unsere vermeintlichen Schwächen, die uns kreativ sein lassen, uns beflügeln, und sich am Ende gar als Stärke herausstellen.

Eine weitere Stärke dieser bezaubernden Pianistin ist diese Leichtigkeit, mit der sie die schwierigsten Werke spielt. Ohne Zweifel gehören die Stücke, die sie für ihr erstes Album "The Sleeping Beauty" wählte, zu den anspruchsvollen und schwierigen Kompositionen ihres Repertoires. Die ausgewählten Ballettbearbeitungen von Dornröschen (Tschaikowsky) und Romeo und Julia (Prokofjew) kommen der jugendlichen Frische der Anfang Zwanzigjährigen sehr entgegen. Kleine Charakterstücke erzählen die Handlungen beider Ballette nach, märchenhafte Bilder und große Leidenschaften entfalten sich auf engstem Raum. Daß es sich dabei um hochvirtuose Klavierliteratur handelt, scheint für Claire Huangci eher Nebensache.

Für mich ist diese "Sleeping Beauty" alles andere als eine Nebensache!
Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt