Qualitätsverlust durch bessere Technik

Normalerweise führt verbesserte Technik zu Qualitätssteigerungen. Der jüngste Stand der Technik, als das Höchst- und Letzterreichte verspricht das Beste. Es stimmt auch. Aber es stimmt auch nicht. Indirekt zumindest nicht. Was im Technischen erreicht wird, produziert gesellschaftlich, durch menschliche Anwendung und sich daraus bildende Übung und Gewohnheit, eigene Felder von "Qualität", die wirken und Auswirkungen haben, die stil- und geschmacksbildend werden.

Deshalb ist es weder eine Überraschung noch ein Widerspruch, dass die höchstentwickelten Kommunikationsmedien nicht mit entsprechend hoch entwickeltem Kommunikationsvermögen, der sogenannten "Kompetenz", einhergehen. Im Gegenteil. Die durch die Technik ermöglichte "Bequemlichkeit" führt zu breiter Akzeptanz von Qualitätsminderungen, die viele hinnehmen bzw. gar nicht bemerken, weil sie "in" sind, der Mode entsprechen bzw. "leicht" bekömmlich sind und, vor allem, zeitsparend.

Die Chemienahrung ersetzt das eigene Suppenkochen. Das ist schon lange so. Aber die Werbung verkauft immer dreister die Instantküche als Qualitätsstandard, so dass viele, die Zeit sparen, gar nicht mehr wissen, was sie vermissen, wenn sie sich mit den Instants zufrieden geben.

Ein Teetrinker, der Tee zu schätzen vermag, wird sich mit den Packerlprodukten nicht zufrieden geben. Das ist nur was fürs Schnelle, nebenbei. Aber was, wenn die meisten nur noch nebenbei sein und haben ("Sein und Haben") wollen?

Die Sprache im Internet bleibt ja nicht nur im Netz. Sie wirkt auf den Alltagssprachgebrauch ein. Basisdeutsch, Denglish, Lingo, Jargon, Kurzsprech, Neusprech. Und vor allem: einfach, leicht. Geeignet für "easy talking" und "easy listening". Nur ja keine Anstrengung. Denn die kostet Zeit. Unsere Technik ermöglicht schnellste Kommunikation weltweit, da darf man sich nicht mit Überflüssigem aufhalten. Stil? Luxus. Komplexität? Affront. Rechtschaffene, demokratische Gesellschaftsmitglieder üben sich im Untermass, das sie, dem Trend folgend, als Spitze der Entwicklung sehen. (Meist wird ein "Mittelmass" beklagt. Das ist falsch, denn dieses bedingt ja Spitzen- und Unterwerte. Das Mittelmass selbst kann nicht negativ sein. Es gibt auch nie "nur" ein Mittelmass. Wenn"s nur ein Mass gäbe, wäre es niedrig oder hoch, aber nie "mittel".) Das verbindet. Sie sind dabei. Jene, die höhere Ansprüche stellen und sich entsprechend verhalten, sind Snobs, undemokratische Elitäre, die sich abheben. Antiintegrativ. Unkorrekt.

Welche Zeitung, die ihr Massenpublikum erreichen will, darf sich eine Sprache erlauben, die nicht der Massensprache entspricht? Welche Autoren, die erfolgreich sind am Markt, erlauben sich keine Massensprache?

Nun, Sprache ist nur als Gemeingut eine. Masse ist der Sprache nicht ab-, sondern zuträglich. Widerspreche ich mir? Nicht, wenn ich den Massennachteil nicht in der Masse sehe, sondern in gewissen massenhaften Übungen und Gewohnheiten, die sich mit dem Einfachen, dem Minimalen zufrieden geben. Auch Basisdeutsch ist Deutsch. Aber ein simplifiziertes. Die Kritik richtet sich gegen jene Aspekte, die höhere Qualität be- und verhindern. (Würde das qualitativ Hochwertige neben dem massenhaft Billigen besser als gegenwärtig koexistieren können und dürfen, wäre die Sorge geringer.)

In der Musik zeigt sich das Dilemma noch drastischer. Es ist hörbarer. Digitale Formate wie MP3 führen zu einem dramatischen Rückfall in niedere Tonqualitäten, der aber viele Konsumenten nicht stört. Standards, die vor X Jahren schon erreicht worden sind hinsichtlich der Ton- und Hörqualität werden zu teuer, zum Luxus. Die Massen geben sich mit den Billigformaten zufrieden: sie sind schnell und bequem übers Netz kommunizierbar, man kann Gigabytes solcher Daten im ipod mitführen und sich permanent mit Musik umspülen. Spülmusik bedarf offenbar keiner hohen Qualität. Welche Medien leisten sich noch hohe Qualität für welche Käuferschicht?

Das Qualitätsproblem zeigte sich allerdings schon vor der erfolgreichen Etablierung des Internet. Wenn ein Publikum in Massen ins Stadion eilt und sich zufrieden gibt, Tenöre auf Riesenprojektionswänden zu sehen und das Tongemisch nur noch elektronisch vermittelt zu hören, dann ist es eben zum einfachen Massenpublikum geworden, das auf Qualität pfeift. Vielleicht könnte es die Hörunterschiede der elektronisch nicht verstärkten Stimme, des Klangs, wie er sich im Raum entfaltet, gar nicht hören und bewerten. Es ist an das Zugerichtete schon so gewöhnt, dass es nicht nur keine Rolle spielt, sondern sogar störte, wenn es anders wäre: was, die haben keine Lautsprecherwand in der Oper? Wie altmodisch.

Es gibt technisch bedingte Qualitätsverluste und solche, die sich in inhaltlicher Reduktion und Vereinfachung manifestieren. Eine Radioübertragung eines Konzerts kann nicht die Tonqualität wiedergeben, die im Konzertsaal hörbar ist. Aber das wirkt sich nicht auf die Spielqualität der Musiker aus. Und es wirkte sich auf das Hörvermögen der Zuhörer nur dann aus, wenn sie nur solche Übertragungen hörten und nie in die Lage kämen, direkt zu hören. Die Kenntnis beider Wahrnehmungsweisen erlaubt Vergleiche und Beurteilungen. Aber auch dann bedarf es einiger Schulung, um bewerten zu können. Neben der physischen Hörqualität gibt es eine mentale, kognitive, sinnliche.

Die Kritik und die Sorge betrifft also nicht die Technik und den technischen Fortschritt. Sondern gewisse gesellschaftliche Entwicklungen, die zu gewissen primitiven Verhaltensweisen mittels höchstentwickelter Technik führen. Technik und Kultur gehen nicht automatisch überein. Leidvoll zeigt uns die Geschichte, dass inhumane Gesellschaften, böse in ihren atavistischen Vernichtungswünschen, borniert in ihrer banalen Barbarei, zugleich technisch modern sein konnten und ihre Wissenschaftler Forschungserfolge erzielten, während die allgemeine, soziale, also gesellschaftliche, Kultur und Zivilisation sich einen Dreck um Humanität kümmerte, um feine Qualitäten der Kultur. Technik ohne Humanität aber ist Krieg.

Die Kritik an der Qualitätsminderung trotz und wegen der hohen Technik weist in diese Richtung eines fatalen Widerspruchs. Wenn das Vermögen zur Unterscheidung des qualitativ Höheren vom Niedereren oder Einfacheren verloren geht, kann sich die neue Barbarei leichter und schneller einnisten und zum nächsten Rundumschlag rüsten.