IFFI 2008: Neue Filme aus Lateinamerika

Nicht unbedingt von seiner besten Seite, aber immerhin vielfältig präsentiert sich das lateinamerikanische Kino beim 17. Internationalen Film Festival Innsbruck. Der Bogen spannt sich von Fernando Pérez ebenso kunstfertigen wie prätentiösen "Madrigal" über den handfesten uruguayanischen Politthriller "Matar a todos" bis zum voyeuristischen brasilianischen "Baixio das bestas".

Verträumt, spielerisch und poetisch waren die letzten Filme des Kubaners Fernando Pérez. Federleicht kam sein Erfolg "La vida es silbar" daher und ganz ohne Worte kam seine impressionistische Liebeserklärung an die kubanische Hauptstadt und ihre Bewohner "Suite Habana" aus. Kunstfertig ist zweifellos auch "Madrigal" gemacht, aber Pérez betont nicht nur mit jeder Einstellung diese Kunstfertigkeit, sondern mit jedem Wort und jedem Musikeinsatz auch die Bedeutungsschwere dieser Hommage von René Clairs Film "Grandes manoeuvres". Das Ende, das der Franzose in den 50er Jahren nicht drehen durfte, formuliert der Kubaner aus, belässt es aber nicht bei der Variation dieser tragischen Liebesgeschichte, sondern spielt – entsprechend dem Titel, mit dem in der Musik ein mehrstimmiges Vokalstück bezeichnet wird - auch mit verschiedenen Erzählebenen. So fließen Theater und Wirklichkeit, die schriftstellerischen Imaginationen der Hauptfigur und die erlebte Geschichte ineinander und, wie ein Vorspanninsert schon ankündigt, ist nicht alles so, wie es scheint. Aber so kunstvoll die Bildkompositionen auch sind, so perfekt das ausgeleuchtet und farblich abgestimmt ist, und so sehr dieser Film in seiner Verschachtelung auch eine Reflexion über filmisches Erzählen und über Kunst und Realität ist, so prätentiös und erdenschwer statt luftig leicht ist "Madrigal" auch.

Handfesteres bietet da schon der Uruguayaner Esteban Schroeder mit dem Politthriller "Matar a todos". Klassisch gestrickt erzählt ist die 1993 angesiedelte Geschichte um eine Anwältin, die nicht locker lässt bei ihren Ermittlungen im Falle des Verschwindens eines chilenischen Chemikers, der für die Regierung Pinochet biologische Massenvernichtungswaffen entwickelte und vom uruguayanischen Militär entführt wird, um ihn für seine Zwecke zu nutzen. Diese hartnäckige am US-Kino ebenso wie an den Politthrillern eines Costa-Gavras geschulte Wahrheitssuche bietet nicht nur spannende Unterhaltung, sondern ist auch eine kritische Anfrage an die jungen lateinamerikanischen Demokratien, die nicht bereit sind sich ihrer Vergangenheit zu stellen, sondern weiterhin frühere Angehörige der Geheimpolizei und Verbrecher gegen die Menschenrechte schützen, statt sie vor Gericht zu stellen. Eine deutliche Absage erteilt Schroeder dabei auch den Militärs, die vorgeben zum Schutz des Vaterlands gegen den Kommunismus zu kämpfen im Grunde aber nur an der Erhaltung ihrer eigenen Macht interessiert sind. Gleichzeitig macht Schroeder durch die Verknüpfung der Familiengeschichte der Anwältin mit der öffentlichen Geschichte deutlich, dass solche Recherchen auch zu familiären Konflikten und Brüchen führen können, denn die Helfershelfer der Diktaturen waren ja nicht immer irgendwelche Fremden, sondern teils auch nahe Verwandte.

Ergreift Schroeder eindeutig Partei für die Unterdrückten und gegen die Machthaber, ist die Haltung des Brasilianers Claudio Assis in "Baixio das Bestas – Sumpf der Bestien" ungleich zwiespältiger, wenn nicht fragwürdig. Denn Assis erzählt nicht nur von der sexuellen Ausbeutung von Frauen in einem abgelegenen brasilianischen Kaff, in dessen Tristesse die Demütigung von Frauen offensichtlich das einzige Vergnügen für die in den Zuckerrohrplantagen arbeitenden Männer ist, sondern beutet seine Figuren selbst aus und führt sie voyeuristisch vor, indem er Gewalt und Sex ausführlich in Szene setzt. Das voyeuristische Verhalten des Kinozuschauers soll wohl angeklagt werden, wenn eine brutale Vergewaltigung in einem ehemaligen Kino stattfindet, doch diese Attitüde wirkt angesichts des derb-brutalen exhibitionistischen Charakters des Films nur aufgesetzt.