60. Berlinale: Glanzloses Jubiläum - Ein Resümee

22. Februar 2010
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Mit knapp 300.000 Eintritten kann die Jubiläums-Berlinale einen Besucherrekord verzeichnen. Begeisterungsstürme löste das Programm des Wettbewerbs aber nie aus, denn mit den großen Namen fehlten auch die wirklich großen Filme. Man kann sich langsam fragen, ob die Berlinale noch den Status eines A-Festivals verdient. Mit Polanskis "Ghost Writer", Scorseses "Shutter Island" und der rekonstruierten Fassung von Fritz Langs "Metropolis" wurde zwar glanzvoll gestartet, doch damit hatte es sich auch schon.

Präsentierten früher die Amerikaner ihre großen Frühjahrsfilme in Berlin, so hat das Festival seit Vorverlegung der Oscar-Nominierung auf Januar für die Majors seinen Reiz als medienwirksame Startbasis verloren. Zudem schmälert der Wunsch nach Weltpremieren das Angebot. Das mögen gar nicht so überragende Filme sein, die der Berlinale damit abhanden gekommen sind, aber vielfach solche, die Kinoqualität besitzen und Lust auf Kino machen.

Deutlich wurde das heuer bei den Vorführungen von Nicole Holofceners "Please Give" und Lisa Cholodenkos "The Kids Are All Right". Weder Holofceners Komödie um die kleinen Neurosen des New Yorker Mittelstands noch Cholodenkos vor Witz sprühende Geschichte einer lesbischen Familie sind überragende Filme, brachten aber den Berlinale-Palast zum Lachen und sorgten dafür, dass man gut gelaunt den Saal verließ.

Dieses Wohlgefühl verbreitete sonst kaum ein Film des Wettbewerbs. Zu klein war einerseits, was hier geboten wurde. 90 Minuten einer Frau beim Puzzeln zuzusehen wie in "Rompecabezas" der Argentinierin Natalia Smirnoff, ist eben nicht gerade aufregend. Zu trist und schematisch ohne wirklichen Pfiff waren wiederum andere Filme. Kraftvolles Kino entsteht eben nur in den seltensten Fällen dabei, wenn man - zum vereisten Berlin durchaus passend – auf der Leinwand immer wieder einsamen und schweigsamen Männern meist durch eine in fahle Farben getauchte Winterlandschaft folgt.

Daraus kann man zwar durchaus einen von lakonischem Humor durchzogenen Film machen wie der Norweger Hans Peter Moland mit "A Somewhat Gentle Man". Großes Kino ist diese gut geschriebene, aber recht einfallslos inszenierte Tragikomödie um einen Gangster, der nach Haftentlassung den Rachegedanken zunehmend abschwört, aber kaum, da man in jeder Szene das Vorbild Aki Kaurismäki zu erkennen glaubt, die Prägnanz des Finnen aber vermisst.

Bessere Filme als "Zeit des Zorns" von Rafi Pitts sah man auch schon aus dem Iran. Gespannt folgt man zunächst zwar einem aus der Haft entlassenen Iraner bei der verzweifelten Suche nach seiner Frau und Tochter, die abends nicht nach Hause gekommen sind. Schließlich erfährt er von der Polizei, dass die Frau bei einem Schusswechsel während Demonstrationen umgekommen ist, wenig später muss er auch die tote Tochter identifizieren. Wenn der Mann dann Amok läuft, zwei Polizisten erschießt und schließlich nach einer Verfolgungsjagd durch einen Wald gefasst wird, verliert der Film durch seine Unentschlossenheit aber zunehmend an Spannung.

Wirklich spannende und energievolle Filme um solche Männer legten Benjamin Heisenberg mit "Der Räuber" und Thomas Arslan mit "Im Schatten" vor. Und wie man Winterkälte und emotionale Vereisung packend kombinieren kann, zeigte Debra Granik mit "Winter"s Bone", der im Forum lief.

Wie Granik in ihrem schon beim Sundance-Festival preisgekrönten Drama von einer 17-jährigen jungen Frau erzählt, die im tiefsten amerikanischen Mittelwesten nicht nur für ihre zwei kleinen Geschwister und ihre psychisch kranke Mutter sorgen, sondern auch noch den Vater auftreiben muss, der das Haus als Kaution für seine Haftentlassung eingesetzt hat, ist kraftvolles realistisches Kino.

Hervorragend eingebettet in die winterlich kalte ländliche Region, in der größte Armut herrscht, Alkoholismus und Drogensucht verbreitet sind und man lieber Gewalt anwendet als zu reden, entwickelt sich ein packendes und erschütterndes Bild eines Amerika jenseits von Glanz und Glamour. – So bedrückend das Gezeigte sein mag, für die schwache Berlinale war dieser Film zusammen mit Arslans "Im Schatten" ein Glücksfall.