Viennale 2010: Die Stärke der Reduktion

Ein Treck in den Weiten Oregons, der Amoklauf eines etwa 40-jährigen Mannes, der Bürgerkrieg im Tschad – das sind Stoffe, die sich für spektakuläre Filme mit viel Action anbieten, doch Kelly Reichardt geht in "Meek´s Cutoff" ebenso einen anderen Weg wie Cristi Puiu in "Aurora" und Mahamat-Saleh Haroun in "Un homme qui crie".

In den 80er Jahren war Viennale-Direktor Hans Hurch bei mehreren Filmen von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet Regie-Assistent. Die Liebe Hurchs zum minimalistischen Kino, das das deutsch-französische Paar pflegte, schlägt sich auch im heurigen Festivalprogramm nieder. Im Tribute an den im Mai verstorbenen französischen Kameramann William Lubtschansky finden sich mit "Trop tôt, trop tard" (1981) und "Klassenverhältnisse" (1983) zwei Filme von Straub/Huillet und auch der Frankokanadier Denis Côté, dem eine Werkschau gewidmet ist, fragmentiert seine Filme bis zur Rätselhaftigkeit.

Aber auch abseits von diesen Spezialprogrammen stachen minimalistische Filme, die sich dem Mainstream widersetzen, heraus. Robert Rodriguez´ Trash-Film "Machete", in dem die Köpfe nur so rollen, das Blut spritzt, Gedärme zum Abseilen verwendet werden und Frauen ihre Reize demonstrativ ausstellen, mag mehr Spaß bereiten und beim Publikum besser ankommen, länger im Gedächtnis haften bleiben aber vielfach doch sehr reduzierte, aber konzentrierte Filme.

Mit dem Insert "Oregon 1845" situiert Kelly Reichardt am Beginn "Meek´s Cutoff" geographisch und zeitlich. In einem langsamen Schwenk folgt die Kamera drei Planwagen bei der Durchquerung eines Flusses. Drei Familien sind, geführt von einem Trapper namens Meek, auf dem Weg in eine bessere Zukunft. Ganz auf die kleine Gruppe reduziert bleibt der Film, einzig ein Indianer, der gefangen genommen wird, wird dazu kommen.

Der Fokus liegt auf den alltäglichen Handlungen und den gruppendynamischen Prozessen. Lange Überblendungen markieren das Vergehen von Zeit, die Langsamkeit der Erzählweise korrespondiert mit der mühsamen Reise durch die endlosen Ebenen. Langsam steigern sich hier Zweifel und Unsicherheit und der Verdacht vom Weg abgekommen zu sein, sich in der Einöde verirrt zu haben, wird zunehmend zur Gewissheit. Langsam zerbröselt so das Vertrauen in Meek, andererseits gewinnt die Frage, wie man mit dem Indianer umgehen soll, immer mehr Gewicht: Soll man ihm angesichts der Notlage vertrauen oder muss man befürchten getäuscht zu werden.

Aber "Meek´s Cutoff" erzählt nicht nur von der Entwicklung der Gruppe, sondern in Bildern von makelloser Schönheit auch von dem, was er zeigt: von der Klarheit des Wassers, von der von der Sonne ausgedorrten gelben Landschaft, dem strahlend blauen Himmel und magischen Morgen- und Abendstimmungen. Gleichzeitig sorgt das fast quadratische 4:3 Format aber wieder dafür, dass trotz der Weite der Landschaft nie ein Gefühl von Freiheit aufkommt und dem Traum von einem neuen Leben von Anfang an enge Grenzen gesetzt sind. So konzentriert und konsequent, makellos auf der visuellen und akustischen Ebene "Meek´s Cutoff" aber auch inszeniert ist, so sehr fordert dieser Western in seiner Langsamkeit und Ereignislosigkeit auch die Geduld des Zuschauers.

Ganz auf das Alltägliche konzentriert sich auch der Rumäne Cristi Puiu in "Aurora". Wie zuletzt in "Der Tod des Herrn Lazarescu" einem Todkranken so folgt Puiu hier minutiös dem von ihm selbst gespielten Protagonisten in langen Einstellungen durch einen Tag, die Nacht und in den folgenden Tag hinein. Die vier Morde, die Viorel im Laufe dieser rund 30 Stunden begehen wird, werden eher beiläufig und kurz geschildert, teilweise sogar ins visuelle Off verbannt. Nichts wird hier aufgebauscht, die Dramatik dem ungeheuerlichen Geschehen durch den gleichmütigen und langsamen Erzählrhythmus vielmehr entzogen. Aber gerade in diesem Insistieren auf dem Alltäglichen, im Verzicht auf Erklärungen und in der Beschränkung auf die distanzierte Begleitung des Amokläufers – das Geschehen wird vielfach, durch einen Türrahmen getrennt, in den Bildhintergrund verdrängt - entwickelt "Aurora" trotz der Länge von 180 Minuten einen geradezu hypnotischen Sog und eine Intensität, der den Film lange nachwirken lässt.

Ein Meister der leisen Töne ist auch Mahamat-Saleh Haroun. Wie schon in "Abouna" und in "Daratt" erzählt der aus dem Tschad stammende Regisseur auch in "Un homme qui crie" von einer Vater-Sohn-Beziehung: Gemeinsam sind der 55-jährige Adam, der einst ein Schwimmchampion war, und sein Sohn Abdel Bademeister in einer Hotelanlage in N´Djamena, der Hauptstadt des Tschad. Mit einem Besitzerwechsel kommt es aber zu Einsparungsmaßnahmen, in deren Folge Adam zum Torwärter degradiert wird. Schwer belastet wird dadurch die Beziehung von Vater und Sohn, liebte der Vater seinen Job als Bademeister doch über alles. Um diese Position wieder zu erlangen, lässt er seinen Sohn sogar im Stich, als die Armee neue Soldaten für den Kampf gegen die Rebellen rekrutiert. Doch bald bereut Adam seine Tat zutiefst.

So einfach die Geschichte ist, so einfach ist auch die Inszenierung. Wie Reichardt und Puiu verzichtet auch Haroun auf Dramatisierung, setzt Musik nur spärlich ein und erzählt unaufgeregt und in langen Einstellungen. Sein Film lebt vom genauen und liebevollen Blick auf Menschen und Situationen und der Konzentration auf das Wesentliche. Gerade durch diese selbst auferlegten Beschränkungen weitet sich dieser in seiner Menschlichkeit zutiefst bewegende Film wie schon "Daratt" zur intensiven und universellen Auseinandersetzung mit Verrat und Schuld sowie der Frage nach der Möglichkeit des Verzeihens und der Versöhnung.