Locarno eröffnet mit klassischer Filmkunst und lustvollem Kino

Mit J. J. Abrams "Super 8" eröffnete das 64. Filmfestival von Locarno (3.-13.8. 2011) zwar mit einem Film, der schon heute im deutschen Sprachraum in den Kinos startet, doch Lust auf mehr macht diese Hommage an frühe Steven Spielberg-Filme auf jeden Fall. Schon am Vorabend vor Festivalbeginn gab es dazu mit Fellinis "Amarcord" gleichermaßen große wie eingängige Filmkunst zu sehen.

Vor einigen Jahren liefen die Filme, mit denen an den Tagen vor Festivalbeginn die Anlage auf der Piazza Grande getestet wurde, ganz am Rande und man musste Hinweise auf den jeweils gezeigten Film regelrecht suchen. Seit letztem Jahr scheinen sie sogar im Programmheft auf und werden nicht anders wie die Festivalfilme präsentiert. – Nur Eintritt wird keiner verlangt und die Einheimischen als auch die Touristen nehmen das Angebot dankend an.

Schon am Sonntag bei "Breakfast at Tiffany´s" soll die rund 8000 Besucher fassende Piazza Grande voll gewesen sein. Nicht anders war es am Dienstag bei Fellinis "Amarcord". Wie bei den offiziellen Festivalfilmen stellten Festivalpräsident Marco Solari und der künstlerische Leiter Olivier Père nicht nur den Film, sondern mit Magali Noel auch eine der Hauptdarstellerinnen vor. Die ließ es sich nicht nehmen das Lied "Amarcord" vorzutragen, ehe Fellinis filmische Erinnerung an seine Kindheit im Rimini der 1930er Jahre in einen kraftvollen Bilderbogen voll skurriler Typen, surrealer Szenen, Träume und erwachendes sexuelles Begehren entführte, aber auch an den Faschismus erinnerte.

Nichts hat der 38 Jahre alte Film an Faszination verloren, fließt immer noch dank der ingeniösen Musik von Nino Rota und der gleitenden Kamera von Giuseppe Rotunno wunderbar rund dahin und beglückt mit der überbordenden Fantasie und dem Einfallsreichtum Fellinis.

Auf diese Generalprobe folgte mit J.J. Abrams "Super 8" am Mittwoch abend - durch ein Gewitter allerdings etwas beeinträchtigt -die offizielle Eröffnung. Nachdem Olivier Père hier letztes Jahr mit Benôit Jacquots prätentiösem kunstgewerblichem "Au fond des bois" mehr verstört als begeistert hate, ging der Franzose heuer mit der schon in Amerika erfolgreichen Hommage an die frühen Filme Steven Spielbergs, der diese Jugend-Science-Fiction-Geschichte produzierte, auf Nummer sicher.

Am Beginn steht der Tod der Mutter des etwa 13-jährigen Joe. Mit diesem Verlust, der durchgängig in den 1979 angesiedelten Film hereinspielt, bekommt "Super 8" eine sehr menschliche Erdung. Die Trauer, die die Eröffnungsszene bestimmt, wird aber oberflächlich mit einem Zeitsprung von vier Monaten an den Beginn der Sommerferien weggewischt. Nun wollen Joe und seine Freunde auf Super 8 einen Zombiefilm drehen. An einem verlassenen Bahnhof soll bei Nacht gedreht werden, doch plötzlich werden die Jugendlichen Zeuge eines verheerenden Unfalls eines Güterzugs. Fluchtartig verlassen sie den Ort der Katastrophe, an dem bald das Militär eintrifft. Niemandem mehr wird der Zutritt gestattet, doch mysteriöse Ereignisse mehren sich in und um die Kleinstadt und Joe und seine Freunde beginnen weiter zu forschen.

Vor allem die erste Hälfte von "Super 8" besticht in seiner liebevollen und detailreichen Evokation der späten 70er Jahre. BMX-Räder, Walkman und entsprechender Soundtrack erzeugen dicht und überzeugend die Atmosphäre dieser Zeit. Geschickt spielt "Lost"- und "Alias"-Erfinder Abrams auch mit dem Film im Film, kann auf großartige Kinderschauspieler vertrauen und spricht mit einer ersten Liebe zwischen Joe (Joel Courtney) und Alice (Elle Fanning) auch das Gefühl an. Den "Rubik"-Würfel, der in den USA in Wahrheit erst 1980 verkauft wurde, schmuggelt er ebenso in die Handlung wie mit verselbstständigter Polizeisirene und Lichthupe Anspielungen auf Spielbergs "Unheimliche Begegnung der dritten Art".

Wenn dann die Action überhand nimmt, wird "Super 8" zwar formelhafter und vorhersehbar, doch den Anblick eines "Monsters" zögert Abrams geschickt hinaus, erzeugt Spannung gerade durch Andeutungen und trotz großen Showdowns gerät der Film nie zur reinen Materialschlacht, sondern zeigt bis zum Ende Interesse am Schicksal der Kinder.

Da werden dann auch – wie von Anfang an zu ahnen - ganz in der Tradition der Spielbergschen 70er Jahre SF-Filme die Gut-Böse-Positionen auf den Kopf gestellt und mit dem äußeren Konflikt werden auch die persönlichen Probleme der Protagonisten einer Lösung zugeführt.

"Super 8" gehört sicher nicht zu den großen und wichtigen Filmen des Jahres, ist aber in seiner liebevoll-verspielten Machart ein durchaus geeigneter Eröffnungsfilm, weil er von einer Liebe zum Kino kündet und gleichzeitig Lust auf Kino macht und in seiner Familientauglichkeit ideal für die Piazza Grande ist.