Stillstand, Trauer, Aufbruch

Nach Argentinien und Mexiko entführen die Schweizer Filme "Abrir puertas y ventanas" und "Mangrove", die beim 64. Filmfestival von Locarno im Wettbewerb um den Goldenen Leoparden laufen. Gemeinsam ist Milagros Mumenthalers Spielfilmdebüt und Frédéric Choffats/Julie Gilberts Zweitling, dass die Protagonisten jeweils über einen schweren Verlust hinwegkommen müssen.

Milagros Mumenthaler wurde 1977 in Argentinien geboren, wuchs aber in der Schweiz auf, in die ihre Familie während der Militärdiktatur emigrierte. Erst mit 17 Jahren kehrte sie in ihr Geburtsland zurück, in dem nun auch "Abrir puertas y ventanas" spielt. Weder zeitlich noch geographisch ist dieses Debüt aber genauer verankert. Nie verlässt die Kamera das Stadthaus und den Garten, in dem die drei an der Schwelle zum Erwachsenenalter stehenden Schwestern Marina, Sofia und Violeta wohnen. Auch sie selbst verlassen das Haus kaum und versuchen - zumindest zunächst - Besucher abzuwimmeln.

Erst im Laufe des Films erfährt man beiläufig, dass vor kurzem ihre Großmuter gestorben ist, über ihre Eltern erfährt man nichts. Mumenthaler – und damit auch der Zuschauer – bleibt zurückhaltende Beobachtern des Trios, hält in langen Einstellungen und ruhigen Schwenks Nähe, Machtspielchen und Eifersüchteleien zwischen den drei Schwestern fest, von denen Marina als älteste so etwas wie die Mutterrolle übernehmen will.

Großen Stilwillen zeichnet diesen Film aus, eindrücklich wird der Stillstand evoziert, der doch ganz langsam und leise von Bewegung abgelöst wird. Da verschwindet zunächst die jüngste Schwester und meldet sich telefonisch vom Flughafen, die mittlere beginnt Tapeten von der Wand zu reißen und Kinderspielzeug zu entsorgen, die älteste lädt den Nachbar Francesco zu sich ein.

So konsequent dieser Prozess der Überwindung der Trauer, der Abnabelung und des Aufbruchs ins Erwachsenenalter aber auch inszeniert ist, so gespannt man dem Beziehungsgefüge zunächst folgt, so stellt sich bei einer Dauer von 100 Minuten - zumindest im filmüberladenen Festivalbetrieb - doch früher oder später auch beim Zuschauer Ermüdung und Langeweile ein, denn letztlich gibt Mumenthaler doch zu wenig über ihre zweifellos exzellent gespielten Figuren preis und übertreibt es wie mehrere Regisseure im heurigen Wettbewerb mit der in ihrer Reduktion offenen Erzählweise.

Geschlossener, wenn auch letztlich auf eine recht einfache Geschichte reduzierbar wirkt da Frédéric Choffats und Julie Gilberts "Mangrove". Ein Geheimnis bauen die beiden Regisseure mit der Ankunft einer jungen Frau mit ihrem etwa sechsjährigen Sohn in einem mexikanischen Küstendorf auf. Langsam und bruchstückhaft bringen Rückblenden Licht ins Dunkel und eine Jahre zurückliegende Geschichte wird aufgerollt, deren traumatischen Folgen die Frau erst durch die Aufarbeitung überwinden kann.

Eindrücklich beschwören Choffat/Gilbert mit Bildern und Tönen des Dschungels und des Meeres eine geheimnisvolle Atmosphäre, vermitteln in diesen Bildern auch überzeugend, dass unter der Oberfläche noch etwas schwelt. Nicht zu übersehen ist aber auch, dass die Regisseure ihren Stil zelebrieren, manches Bild fast zu lange stehen lassen. Auch das Spiel mit Schärfe und Unschärfe, das ebenfalls auf das Verschüttete verweist, das erst wieder ans Licht gezerrt werden muss, mag etwas aufgesetzt sein, dennoch folgt man der im Stil eines Krimis entwickelten, am Ende schlüssig aufgelösten und mit 70 Minuten erfreulich kurzen Geschichte interessiert bis zum Ende.