Locarno 2013: Goldener Leopard für "Historia de la meva mort"

Die Internationale Jury des 66. Filmfestivals von Locarno zeigte bei ihrer Preisvergabe eine klare Vorliebe für sperriges Kunstkino, klassische Erzählformen wurden dagegen weitgehend übergangen.

Welche Filme bei einem Filmfestival ausgezeichnet werden, welche leer ausgehen, hängt einzig und allein von der Zusammensetzung der jeweiligen Jury ab. Da diese Jury aber wiederum vom Festival - vom künstlerischen Leiter? - ernannt wird, setzt das Festival mit der Auswahl der Juroren schon ein Zeichen, in welche Richtung es gehen soll: Es macht eben einen Unterschied, ob man Hollywoodstars oder Regisseure sperriger Autorenfilme über die Preise entscheiden lässt.

Mit dem Philippino Lav Diaz und dem Griechen Yorgos Lanthimos saßen schon mal zwei radikale Filmemacher in der fünfköpfigen Jury, deren Filmgeschmack abschätzbar war. Nicht gegen ihren Willen dürften die jetzigen Entscheidungen gefallen sein, ob sie freilich den Schweizer Filmexperten Matthias Brunner, den chilenischen Produzenten Juan de Dios Larrain und die französische Regisseurin und Schauspielerin Valérie Donzelli von ihren Favoriten überzeugen mussten oder diese von sich aus für die gleichen Filme stimmten, bleibt offen.

Die Vergabe des mit 90.000 Schweizer Franken dotierten Goldenen Leoparden an Albert Serras "Historia de la meva mort - Story of My Death" überrascht angesichts des Fehlens eines oder mehrerer herausragender Meisterwerke kaum. Der zweieinhalbstündige Film über Casanova und Dracula freilich wird das Schicksal mit mehreren Locarno-Siegern der letzten Jahre teilen: Er wird höchstwahrscheinlich nicht ins Kino kommen.

Der Spezialpreis der Jury wurde an Joacquin Pintos radikal subjektiven Essayfilm "E agora? Lembra-me" vergeben und auch mit der Verleihung des Regiepreises an "Our Suunhi" des Koreaners Hong Sang-soo wurde nicht gerade leicht konsumierbares Kunstkino ausgezeichnet.

Immerhin den Preis für Brie Larson als beste Schauspielerin sowie eine lobende Erwähnung blieb für "Short Term 12" übrig, der Preis für den besten Darsteller ging an Fernando Bacilio, der im peruanischen "El mudo" verbissen und verbohrt für Gerechtigkeit kämpft. Eine lobende Erwähnung sprach die Jury auch für Yves Yersins "Tableau noir" aus.

Interessanterweise fanden diese von der offiziellen Jury eher übergangenen Filme bei den unabhängigen Juries größere Beachtung. So verlieh die Ökumenische Jury ihren Preis an "Short Term 12" und sprach für "Tableau noir" eine besondere Erwähnung aus und die Jugendjury vergab den zweiten Preis - der erste Preis ging an den japanischen "Tomogui" - an "Short Term 12" und den "Preis für Umwelt und Lebensqualität" an "Tableau noir". Der Preis der internationalen Filmkritiker (FIPRESCI) wiederum ging an "E Agora? - Lembra me".

Beim mit 30.000 Schweizer Franken dotierten Publikumspreis der Piazza Grande setzte sich mit Louise Archambaults "Gabrielle" der klare Favorit durch. Einerseits spricht dieser Film mit dem Plädoyer für das Recht auf Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung ein großes Publikum an, andererseits versteht es die Kanadierin feinfühlig und bewegend davon zu erzählen.

Und auch in der Semaine de la critique, in der sieben von Schweizer FilmjournalistInnen ausgewählte Dokumentarfilme gezeigt wurden, wurde mit Marc Bauders "Master of the Universe" der Film ausgezeichnet, der sofort nach seiner ersten Vorführung als Favorit gehandelt wurde. Denn wie hier der ehemalige Investmentbanker Rainer Voss ebenso sachlich wie verständlich Einblick in die fatalen Entwicklungen des Bankengeschäfts von den 1980er Jahren bis zur Eurokrise bietet und zudem noch ein düsteres Zukunftsszenario zeichnet, ist nicht nur informativ und packend, sondern auch beängstigender als jeder Horrorfilm.