"Akte Grüninger" eröffnete 49. Solothurner Filmtage

Mit der Weltpremiere von Alain Gsponers Spielfilm über den St. Galler Polizeihauptmann Paul Grüninger, der Ende der 1930er Jahre zahlreichen Juden die Flucht aus Österreich, das damals zum Dritten Reich gehörte, in die Schweiz ermöglichte, wurden die 49. Solothurner Filmtage eröffnet: Solide und sorgfältig inszenierte Geschichtsaufarbeitung, die aber auch Schwächen aufweist.

Alain Gsponer ("Lila, Lila", "Das kleine Gespenst") fackelt nicht lange, sondern wirft den Zuschauer mitten in eine Fluchtszene an der vorarlbergisch-schweizerischen Grenze hinein. Unterstützt werden die flüchtenden Juden vom Schweizer Vizekonsul in Bregenz, der großzügig Visas ausstellt. Am 19. August 1938 machten die Schweizer aber die Grenze dicht, dennoch brach der Flüchtlingsstrom nicht ab.

Die Verhaftung von zwei Polizisten lenkt die Spur auf den St. Galler Polizeihauptmann Paul Grüninger. Vom Chef der Eidgenössischen Fremdenpolizei erhält der junge Polizeiinspektor Robert Frei (Max Simonischek) den Auftrag Grüninger (Stefan Kurt) zu verhören und Bericht zu erstatten.

Dass die fiktive Figur des Ermittlers Frei vor Grüninger auftritt und ihr auch die letzte Szene des Films gehört, wirft ein bezeichnendes Licht auf "Akte Grüninger". Leichter als mit den historischen Figuren, die blass bleiben, tut sich Gsponer sichtlich mit dem erfundenen Charakter. Ihm kann er Facetten und Ambivalenzen verleihen, kann ihn sich langsam vom Beamten, der widerspruchslos Befehle ausführt, zum mitfühlenden Menschen wandeln lassen, der schließlich wie Grüninger Menschlichkeit über Verordnungen und Gesetze stellt.

Aus dem Aufeinandertreffen von Grüninger und Frei, dem Kontrast von Gewissensentscheidung und Pflichterfüllung bezieht der Film seine Spannung. Wenn Frei zum Verhör schreitet und einen Flüchtling in den Zusammenbruch treibt, wird "Akte Grüninger" dramatisch und emotional, sonst wird eher brav in grobkörnigen Bildern mit geringer Tiefenschärfe, erdigen Farben und sorgfältiger Ausstattung Geschichte rekonstruiert.

Ganz in den Griff hat Bernd Lange, der bekannt ist für seine vorzüglichen Drehbücher für Hans-Christian Schmid, die Geschichte aber doch nicht bekommen. Abrupt werden mehrfach jüdische Einzelschicksale vorgestellt, um durch diese Anteilnahme zu erzeugen. Bald werden diese Schicksale auch schon wieder ziemlich aus den Augen verloren. Etwas unübersichtlich ist auch das kurzatmige Finale, in dem aus politischen Gründen Grüninger geopfert, sein ihn deckender und unterstützender Vorgesetzter aber geschont wird.

Wirklich missglückt ist aber der Einsatz von Archivmaterial. Weil Gsponer dem Zuschauer – vielleicht durchaus zurecht - zu wenig Kenntnis über die nationalsozialistische Judenverfolgung zutraut, wird auf Stichwörter wie "Nationalsozialismus und Juden" oder "November" kurz Archivmaterial zu nationalsozialistischen Übergriffen oder zur Reichspogromnacht vom 9. November 1938 eingeschnitten, damit auch jedem klar wird, wie dringend nötig die humanitäre Hilfe Grüningers war. Gerne verzichtet hätte man auf diese peinlich didaktischen Momente.

Kurz angesprochen wird in den Verhören auch, ob Grüninger sich durch die Fluchthilfe bereichert oder ob er sogar als Nazisympathisant den Juden die Ausreise ermöglicht habe. Diese Anschuldigungen freilich, die auch vom israelischen Journalisten Shraga Elam aufgebracht wurden, widerlegt nicht nur der Film eindringlich in der Schilderung der Taten und der Motivation des Hauptmanns, sondern wurden auch von Flüchtlingen, denen Grüninger geholfen hat entschieden zurückgewiesen.

So bietet Gsponer insgesamt ehrenwerte Geschichtsaufarbeitung, die ein größeres Publikum mit dem Schicksal dieses "Schweizer Oskar Schindlers" vertraut machen kann als Richard Dindos 1997 gedrehter Dokumentarfilm "Grüningers Fall". Im Versuch ein möglichst komplettes Bild der zeitgeschichtlichen Ereignisse und Zusammenhänge zu zeichnen, tendiert "Akte Grüninger" aber eben auch zu Kurzatmigkeit, hakt vieles ab, statt Szenen differenziert und tiefschürfend auszuloten und entwickelt im Grunde nur in der ambivalenten Figur Freis echte Kinoqualitäten.

Trailer zu "Akte Grüninger"