67. Filmfestival Locarno: Goldener Leopard für Lav Diaz

Mit der Vergabe des Hauptpreises an den fünfeinhalbstündigen "Mula sa kung ano ang noon" („From What is Before) des Filipino Lav Diaz zeichnete die internationale Jury radikales Autorenkino aus, würdigte mit dem Spezialpreis der Jury für "Listen Up Philip" aber auch klassisches US-Independentkino.

Überlang ist zwar Lav Diaz´ "Mula sa kung ano ang noon", aber kein anderer Film bot ähnlich grandiose Kinomomente. Kaum übergehen konnte die vom italienischen Regisseur Gianfranco Rosi geleitete Jury den neuen Film des letztjährigen Jury-Präsidenten folglich. – Und auch Festivalleiter Carlo Chatrian, der im Wettbewerb sperrigen Filmen viel Platz einräumt, dürfte mit dieser Vergabe des mit 90.000 Schweizer Franken dotierten Hauptpreises zufrieden sein.

Der "Spezialpreis der Jury" ging mit "Listen Up Philip" von Alex Ross Perry dagegen an einen konventionelleren und leichter zugänglichen Film. Gut vorstellbar, dass dies das Ergebnis eines Kompromisses ist, zu dem sich die fünfköpfige, aus den drei Regisseuren Gianfranco Rosi, Thomas Arslan und Diao Yinan sowie den Schauspielerinnen Connie Nielsen und Alice Braga bestehende Jury, durchrang: Die einen gaben beim Hauptpreis nach, die anderen dafür beim Spezialpreis. Wer freilich für die Vergabe des Regiepreises für Pedro Costa und seinen "Cavalo Dinheiro" eintreten konnte, bleibt ein Rätsel.

Nichts auszusetzen gibt es an den Schauspielerpreisen für Ariane Labed für ihre Leistung in "Fidelio, l´odyssée d´Alice" sowie für Artem Bystrow für seine Darstellung eines aufrecht seinen Weg gehenden und Menschlichkeit bewahrenden Klempners im russischen Wettbewerbsbeitrag "Durak".

Dass Yury Bykovs packende Sozialdrama "nur" einen Darstellerpreis erhielt, liegt wohl an seiner klassischen Erzählweise. Die Ökumenische Jury dagegen, die bei ihren Entscheidungen nicht nur auf die Form, sondern auch auf die Behandlung menschlicher Fragen achtet, vergab ihren Preis an "Durak", lassen sich darin in der Frage nach dem Umgang mit dem Nächsten doch klar christliche Aspekte finden.

Der Preis der internationalen FilmkritikerInnen (FIPRESCI), die meist ein formal innovatives Werk auszeichnen, ging dagegen wiederum wenig überraschend an "Mula sa kung ano ang noon", der auch noch von weiteren unabhängigen Jurys ausgezeichnet wurde (International Federation of Film Societies, Premio Giuria dei giovani).

Keine Überraschung gab es auch bei den Preisen fürs Piazza-Programm. Während im internationalen Wettbewerb die beiden Schweizer Filme von der offiziellen Jury nicht prämiert wurden, konnte hier Peter Luisi den Heimvorteil nutzen. Seine Komödie "Schweizer Helden" nahm das Publikum wohl einerseits durch das aktuelle Thema "Asylanten", andererseits durch den sicheren Balanceakt zwischen leichter Unterhaltung und zum Nachdenken anregender Schilderung der Situation für sich ein. Der mit 30.000 Schweizer Franken dotierte Publikumspreis war die logische Folge, während der formal doch beeindruckendere "Schweizer Helden" mit dem Variety Piazza Grande Award ausgezeichnet wurde.

Komplette Preisträgerliste (PDF)