Feinsinniger Beobachter der italienischen Gesellschaft - Zum Tod von Ettore Scola

21. Januar 2016
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Vor allem in den späten 1970er und den 1980er Jahren war Ettore Scola mit seinen Filmen Stammgast auf den großen Filmfestivals. Danach wurde es ruhig um den 1931 geborenen Regisseur, bis er sich anlässlich des 20. Todestags seines Kollegen Federico Fellini 2013 mit dem Dokumentarfilm «Che strano chiamarsi Federico» zurückmeldete. Am 19. Januar ist der gebürtige Süditaliener nun im Alter von 84 Jahren in Rom gestorben.

Der am 10. Mai 1931 im süditalienischen Trevico geborene Ettore Scola begann Ende der 1940er Jahre neben einem Jurastudium, das er auch abschloss, als Zeichner und Texter bei der humoristisch-satirischen Zeitschrift «Marc´Aurelio». Hier schulte er den genauen Blick auf einfache Menschen, der seine Filme kennzeichnen sollte und auch später zeichnete er für seine Filme statt Storyboards Skizzen seiner Figuren.

Mitte der 1950er Jahre wechselte er dann als Drehbuchautor zum Film, wobei er sich als Autor typisch italienischer Komödien einen Namen machte. Solche Komödien, die von genau gezeichneten Figuren lebten, bestimmten von seinem Regiedebüt «Se permette parliamo di donne» («Frivole Spiele», 1964) bis «Dramma della gelosia» («Eifersucht auf Italienisch», 1970) auch sein Werk als Regisseur.

Spätestens mit «C´eravamo tanti amati» («Wir hatten uns so sehr geliebt», 1974) gelang Scola dann aber die Überwindung der Grenzen der Komödie. Das Erzähltempo wurde langsamer, der Blick auf die Figuren dafür noch genauer. Den Fokus richtete er ganz auf einfache Leute, spiegelte in ihren Geschichten aber immer wieder italienische Geschichte. In «C´eravamo tanti amati» zeichnete er am Leben von drei befreundeten Männern dreißig Jahre italienische Nachkriegsgeschichte nach und in «Una giornata particulare» («Ein besonderer Tag», 1977) entwarf er anhand der Begegnung eines Mannes und einer Frau vor dem Hintergrund des Besuchs Hitlers in Rom am 6. Mai 1938 ein Stimmungsbild des faschistischen Italien.

So wenig man hier Hitler und Mussolini sieht, sondern höchstens über das Radio hört, so bekommt man auch vom französischen König Ludwig XVI. in «La Nuit de Varennes» («Die Flucht nach Varennes», 1982) nur die Füße zu sehen. Der Fokus von Scola liegt wieder bei denen, die nicht in die Geschichtsbücher eingegangen sind. Aus ihrer Perspektive erzählt er die historische Flucht des Königs und seiner Gattin Marie-Antoinette im Juni 1791 aus dem revolutionären Paris.

Wie sich Scola in «Una giornata particulare» weitgehend auf eine Wohnung in Rom beschränkt, so spielt «La Nuit de Varennes» großteils in der Kutsche. Diese räumliche Engführung kennzeichnet viele Filme des Italieners. So spielt «La terrassa» («Die Terrasse», 1980) zur Gänze in einer römischen Terrassenwohnung, in der einige Linksintellektuelle über ihre gescheiterten Träume diskutieren, und in «Le Bal» («Le Bal – Der Tanzpalast», 1983) rollt Scola in einem Tanzsalon in neun Szenen durch den Wechsel des musikalischen Stils und sich ändernde Details ohne jeden Dialog europäische Geschichte von 1936 bis 1983 auf.

Ausschließlich in einer großbürgerlichen Wohnung spielt «La famiglia» («Die Familie», 1986), in dem in einer Familiengeschichte 80 Jahre italienische Geschichte gespiegelt werden, in einem Kinosaal spielt «Splendor» (1988), in dem Filmgeschichte nachgezeichnet wird, und der Schauplatz von «La Cena» (1998) ist eine städtische Trattoria.

Durch die Beschränkung auf einen Raum konnte sich Scola ganz auf seine Figuren konzentrieren, die immer wieder von den gleichen Schauspielern gespielt wurden, von Marcello Mastroianni und Nino Manfredi, von Stefania Sandrelli, Massimo Troisi und Vittorio Gassman. Aber auch der Filmarchitekt Luciano Richeri und der Komponist Armando Trovajoli gehörten zu Scolas fixem Team und sorgten für Kontinuität in Optik und Akustik.

Rom, das immer wieder Schausplatz seiner Filme ist, setzte er ein Denkmal mit dem komödiantischen Mockumentary «Gente di Roma» (2003), in dem die Kamera vom Morgengrauen bis in die Nacht einem Autobus quer durch Rom folgt und kleine fiktive Geschichten erzählt werden. Zehn Jahre machte Scola danach Pause, bis er 2013 mit «Che strano chiamarsi Federico» in einer Montage von Spielszenen, Dokumentarmaterial und Ausschnitten aus alten Fellini-Filmen nochmals die große Kunst des vor 20 Jahren verstorbenen Federico Fellini beschwor. Mit Scolas Tod wurde diese Erinnerung an und dieser Abschied von Fellini auch zu seinem eigenen Abschied vom Kino.

Literatur: Buovolo, Marisa (Hg.), Ettore Scola, Film-Konzepte 23, edition text + kritik, München 2011, 112 S.

Trailer zu "Le Bal"