66. Berlinale: Geschichte und Gegenwart

Mit der Hans Fallada-Verfilmung "Alone in Berlin" folgte der bei der Berlinale fast obligate Berlin-Film. Mehr zu überzeugen verstanden aber "Genius", in dem von der Beziehung zwischen Thomas Wolfe und seinem Lektor Max Perkins erzählt wird, und Danis Tanovic´ bissiger Blick aufs heutige Bosnien und Europa in "Death in Sarajewo".

Nach starkem Beginn ist der Wettbewerb der Berlinale etwas abgeflaut. Nicht überzeugen konnte die zumindest vierte Verfilmung von Hans Falladas 1946 erschienenem Roman "Jeder stirbt für sich allein". Als Problem von Vincent Perez´ Adaption erweist sich schon, dass der im Berlin des Zweiten Weltkriegs spielende und auf dem authentischen Fall des Ehepaars Otto und Elise Hampel basierende Film durchwegs auf Englisch gedreht wurde.

Während man im Juni 1940 in Deutschland den Sieg über Frankreich bejubelt, erhalten der Werkmeister Otto Quangel (Brendan Gleeson) und seine Frau Anna (Emma Thompson) die Nachricht, dass ihr Sohn gefallen ist. Nicht nur, dass der Brief auf Deutsch geschrieben ist, während das Ehepaar Englisch spricht, auch in Deutsch gehaltene Zeitungsschlagzeilen, die Anrede "Frau Sowieso" oder "Obersturmbannführer" irritieren und behindern das Aufkommen einer Atmosphäre. Für einmal sehnt man sich nach einer deutschen Synchronisation, die diese Inkonsequenz beseitigen kann.

Der Tod des Sohnes erschüttert Quangels Glauben an das Hitler-Regime jedenfalls endgültig und er beginnt regimekritische Postkarten zu schreiben – natürlich mit deutschem Text – und mit Hilfe seiner Frau in Berlin zu verteilen. Nur kurz hält sich Vincent Perez mit der Schilderung der unterschiedlichen Bewohner des Blocks auf, verkürzt die Handlung dann auf einen Kriminalfilm, bei dem der Gestapo-Beamte Escherich (Daniel Brühl), der rein an der kriminalistischen Lösung des Falls interessiert ist, aber mit der NS-Ideologie nichts am Hut hat, ein immer engeres Netz um die Quangels spannt.

Wie bei einer internationalen Produktion kaum anders zu erwarten, ist das zwar handwerklich ganz ordentlich, aber ohne eigenen Ansatz inszeniert. Geadelt wird dieser Film einzig durch Brendan Gleeson und Emma Thompson, die durch ihr Spiel bewegend vermitteln, wie der gemeinsame Widerstand ihre Liebe wieder inniger werden lässt.

Im Vergleich mit dem Spielfilmdebüt des Londoner Theaterregisseurs Michael Grandage stellt sich auch die Frage, wieso speziell deutsche historische Filme oft so kulissenhaft wirken. Ganz anders als Perez in die Nazi-Zeit lässt nämlich Grandages Verfilmung von A. Scott Bergs preisgekrönter Biografie "Max Perkins: Editor of a Genius" ins Amerika der 1920er und 1930er Jahre eintauchen.

Grandage erzählt in dem klassisch inszenierten "Genius" von der Beziehung zwischen dem Schriftsteller Thomas Wolfe ("Look Homeward, Angel") und seinem Lektor Max Perkins. Obwohl sich die Handlung im Grunde über mehrere Jahre spannt, gleitet der Film nicht ins Anekdotische ab, sondern Grandage gelingt es durch Verdichtung der Ereignisse und Konzentration auf wenige Figuren rund eine Geschichte zu erzählen und in den gegensätzlichen Figuren auch Fragen nach dem Wesentlichen im Leben aufzuwerfen.

Wieso der ganze Film in Brauntöne getaucht ist, bleibt zwar ebenso schleierhaft wie die Frage, wieso Perkins nie den Hut abnimmt. Doch zuzusehen, wie sich der Familienmensch Perkins und der nur an sich denkende Exzentriker Wolfe aneinander reiben, ist dank des exzellenten Spiels von Colin Firth und Jude Law, die sich hier für einen Darstellerpreis empfehlen, dennoch spannend.

Den Bogen von der Vergangenheit zur Gegenwart spannt Danis Tanovic in "Death in Sarajewo". An einem Nachmittag und zur Gänze im Hotel Europa in Sarajewo spielt sein Film und spricht dabei doch zahlreiche Probleme des heutigen Europa und speziell Bosniens und des Balkans an.

Denn an diesem Nachmittag Ende Juni 2014 laufen im Hotel die Vorbereitungen für die Feiern zum 100. Jahrestag des Attentats auf Thronfolger Franz-Ferdinand, das den Ersten Weltkrieg auslöste, auf Hochtouren.

Während auf dem Dach eine TV-Journalistin Interviews zur Einschätzung des Attentäters Gavrilo Princip im Lauf der letzten 100 Jahre führt und sich schließlich im Gespräch mit einem Nachkommen Princips ein heftiger Streit über das Verhältnis von Serbien und Bosnien entwickelt, bereitet in der Präsidentensuite der französische Schauspieler Jacques Weber eine Rede vor, in der er ausgehend vom Attentat an die europäischen Verbrechen von Auschwitz bis Srebrenica erinnern will.

Der Hoteldirektor wiederum und seine Assistentin sind mit den Vorbereitungen der Feierlichkeiten beschäftigt, die dem finanziell sehr angeschlagenen Haus das Überleben sichern sollen, während die Belegschaft, die seit zwei Monaten keinen Lohn erhalten hat, die mediale Präsenz für einen Streik nutzen will. Damit es nicht dazu kommt, hat aber der Direktor schon den Gangster, dem er den Keller als Spielsalon und Striplokal vermietet hat, beauftragt, die streikwilligen Angestellten durch Schläger einzuschüchtern.

Dialoglastig ist dieser Film zwar, entwickelt aber einerseits mit einer dynamischen Kamera, die immer wieder den Protagonisten durch die Gänge folgt, und andererseits durch den rasanten und geschmeidigen Wechsel zwischen den verschiedenen Schauplätzen großen Drive. Man muss schon bewundern, wie unterhaltsam und bissig Tanovic hier auf engstem Raum viele aktuelle Probleme des Balkans und Europas anzusprechen versteht.