67. Berlinale: Sturz ins Bodenlose?

Josef Haders "Wilde Maus" mag für einen Anwärter auf den Goldenen Bären zu leichtgewichtig sein, aber eine hinreißende, höchst unterhaltsame Tragikomödie gelang dem Multitalent mit seinem Regiedebüt auf jeden Fall. Ein in Kinshasa spielendes Sozialdrama um eine starke Protagonistin legte dagegen der Franzose Alain Gomis mit "Félicité" vor.

Seit 20 Jahren ist Georg (Josef Hader) Musikkritiker bei einer Wiener Zeitung, gesichert scheint sein Job, doch nach kaum drei Minuten wird er entlassen: Mit seinem alten Vertrag kostet er die Zeitung nun mal so viel wie drei junge Kollegen, die zudem noch eine Familie ernähren müssen. Dass seine Nachfolgerin keine Ahnung von der Materie hat, scheint keine Rolle zu spielen.

Seiner jüngeren Frau Johanna (Pia Hierzegger), die vor allem mit ihrem Kinderwunsch beschäftigt ist, verschweigt Georg aber seine Kündigung, verbringt den Tag im Prater, besucht abends weiterhin Konzerte. Seinen Frust und seine Aggression baut er aber nicht nur bei "Hau den Lukas" ab, sondern auch indem er zunehmend massiver nachts das Auto seines Ex-Chefs (Jörg Hartmann) – selbstverständlich ein Deutscher – beschädigt.

Unterstützung bekommt er dabei bald von einem früheren Schulkollegen (Georg Friedrich), dem er im Prater begegnet und mit dem er die legendäre Achterbahn "Wilde Maus" pachtet.

Georgs Frau, einer Psychotherapeutin, bleibt die Verhaltensänderung ihres Mannes aber nicht verborgen und so droht auch seine Beziehung in die Brüche und sein gesamtes Leben langsam den Bach hinunter zu gehen.

Man kann den Film als Kommentar zur Angst der Mittelschicht vor dem Absturz lesen, aber zunächst ist das wieder einmal eine hervorragend geschriebene, punktgenau inszenierte und bis in die Nebenrollen hinein großartig besetzte Tragikomödie. Keine Leerstellen gibt es hier, perfekt greifen die Rädchen ineinander, in einigen Punkten übertreibt es Hader sogar einzig des (zweifellos gelungenen) Gags zuliebe mit den Verknüpfungen und Zusammenhängen.

Die Dialoge kommen aber so trocken, die Figuren sind so prägnant gezeichnet, die Geschichte atmosphärisch stimmig im Wiener Milieu verankert, und die Balance zwischen Komik und Tragik wird so wunderbar gehalten, dass man sich zwei Stunden bestens unterhält, die Lacher einem auch immer wieder angesichts des Ernsts der Situation im Hals stecken bleiben.

Wie Josef Haders Musikkritiker das Zentrum von "Wilde Maus" ist, so ist es bei Alain Gomis´ "Félicité" die von Véro Tschanda Beya mit großer physischer Präsenz gespielte Titelfigur. Hautnah ist die Kamera nicht nur an ihr dran, wenn sie in einer Bar von Kinshasa als Sängerin ihren Lebensunterhalt verdient, sondern auch an den Gesichtern der Gäste.

Félicité reißt mit ihrem kraftvollen Gesang die Kundschaft mit, vor allem Tabu ist sichtlich in sie verliebt. Er hilft ihr auch, als ihr Kühlschrank wieder einmal defekt ist, doch größere Kosten kommen auf sie zu, als ihr Sohn nach einem Unfall im Krankenhaus landet und operiert werden muss.

An Brillante Mendozas "Lola" erinnert die Schilderung der verzweifelten Bemühungen Félicités Geld für die teure Operation aufzutreiben. Abgewiesen wird sie von ihrem Ex-Mann, den sie einst verlassen hat, mit Hilfe eines Polizisten, der dafür selbstverständlich entlohnt werden will, kann sie gestohlenes Geld zurückfordern und ihren Lohn eintreiben, sogar zum Gangsterboss der Metropole dringt sie vor. Sie lässt auch nicht locker, als dieser sie aus dem Haus werfen will, erhält sogar eine kleine Summe, doch als sie wieder ins Krankenhaus kommt, muss sie erfahren, dass ihrem Sohn schon das Bein amputiert werden musste.

In dieser Schilderung des verzweifelten Kampfes dieser starken Frau vermag "Félicité" zu packen und zu überzeugen. Störend wirken aber die Überhöhung der kleinen Geschichte mit eingeschnittenen Proben eines Orchesters und eines Chors am Ende des Films einerseits und andererseits nächtliche Szenen im Wald, die vielleicht Realität vielleicht aber auch nur Traum sind. Sie rauben dem Drama ebenso wie das wohl mehr geträumte als reale Happy-End auch einiges von seiner Durchschlagskraft, führen zu Längen, wo kompaktes Erzählen einen stärkeren Eindruck hinterlassen hätte.