Diagonale 2017: Eine neue Generation

3. April 2017
Bildteil

Nicht bekannte Namen bestimmten das Bild der 20. Diagonale, vielmehr meldeten sich einige vielversprechende junge Stimmen des österreichischen Films zu Wort. So ging auch der mit jeweils 21.000 Euro dotierte Große Diagonalepreis für den besten Spielfilm an Lukas Valenta Rinners "Die Liebhaberin", während der Preis für den besten Dokumentarfilm Ivette Löckers "Was uns verbindet" zugesprochen wurde.

Erfreulich jung präsentierte sich das österreichische Kino bei der heurigen Diagonale. In den 1980er Jahren geboren wurden mehrere der Regisseure, die für die frischesten und schönsten Spielfilme sorgten. Auch der Gewinner des Großen Diagonalepreises für den besten Spielfilm gehört dazu.

Lukas Valenta Rinner wurde zwar 1985 in Salzburg geboren, doch Film studierte er in Barcelona und Buenos Aires. Wie sein erster Spielfilm "Parabellum" entstand auch sein nun preisgekrönter Zweitling in Argentinien. Eine seltsame Koproduktion zwischen Argentinien, Österreich – oder genauer Salzburg – und dem südkoreanischen Jeonju Digital Cinema Project ist "Die Liebhaberin", dessen Originaltitel "Los decentes" lautet.

Kühl beginnt der Film mit statischen Einstellungen eines Bewerbungsgesprächs für den Job einer Hausangestellten. Ausgewählt wird die schüchterne Belén, die sogleich ihre neue Aufgabe in einer modernen Villa in einer Gated Community antritt. Die Hausherrin präsentiert sich als pingelig, der Sohn als verbissener Sportler. Leistungs- und Karrieredenken werden hier groß geschrieben, die Gefühle scheinen längst abgestorben. Alles soll möglichst geordnet ablaufen, wie sich auch am gepflegten Rasen zeigt.

Gegenpol zu dieser Sterilität und Steifheit stellt ein Camp von Nudisten dar, die jenseits eines elektrischen Zauns in urwüchsiger Landschaft ihre Sitzungen und Orgien abhalten. Belén fühlt sich bald von diesem von allen gesellschaftlichen Zwängen befreiten Treiben angezogen, blüht in dieser Gesellschaft auf und beginnt zunehmend heftiger, aber verdeckt gegen ihre Arbeitgeberin zu rebellieren, bis die Nudisten, gegen die die Community gerichtlich vorgehen will, zum offenen Angriff übergehen.

Kühl, aber versetzt mit einer gehörigen Portion schwarzen Humors erzählt Rinner diese Gesellschaftssatire, evoziert in statischen Einstellungen und blitzblank geputzter Wohnung eindrücklich die Erstarrung und Sterilität der bürgerlichen Oberschicht, der er die Vitalität und Lebensfreude der Nudisten gegenüberstellt.

Ein formal noch radikaleres Werk präsentierte die 1983 in der Steiermark geborene Sandra Wollner mit ihrem im Rahmen des Studiums an der Filmakademie Baden-Württemberg entstandenen Films "Das unmögliche Bild". In einen privaten Super-8-Film aus den 1950er Jahren fühlt man sich versetzt, wenn auf das Insert "1956 – Die Familie im Garten" Gartenszenen folgen, für die der filmende Vater seiner Frau und den beiden Töchtern Regieanweisungen gibt.

Bald stirbt aber der Vater und die an Kinderlähmung leidende 13-jährige Johanna übernimmt die Kamera und filmt den Alltag bei der Großmutter, zu der der Teenager mit ihrer Mutter und ihrer kleinen Schwester zieht. Lange sieht man Johanna nicht im Bild, da sie ja hinter der Kamera steht, bis nach einer langen Kamerafahrt durchs Haus plötzlich der doch schon verstorbene Vater in einem Zimmer steht und von nun an die Kamera von außen auf Johanna blickt, während sie aber gleichzeitig Erzählerin bleibt.

Was wie Filmdokumente aus den 1950er Jahren wirkt, entstand in Wahrheit aber 2016. Allein durch diesen Widerspruch stellt sich schon der Diskurs ein, den Sandra Wollner über die Wahrhaftigkeit und Zuverlässigkeit von Bildern und Erinnerungen durchgängig führt. Doch nicht nur die Bilder und Erinnerungen erweisen sich hier als trügerisch, sondern auch die vermeintliche Idylle im Haus der Großmutter, wenn zunehmend klarer wird, dass in einem Hinterzimmer heimlich illegale Abtreibungen durchgeführt werden.

Leichtere Töne schlägt die 1984 in Wiener Neustadt geborene Monja Art in ihrem schon mit dem Max Ophüls-Preis ausgezeichneten Spielfilmdebüt "Siebzehn" an. Ganz auf Augenhöhe und nah dran an ihren jugendlichen Protagonisten ist Art und verankert die Handlung auch stimmig in der frühsommerlichen niederösterreichischen Provinz.

Im Zentrum steht zwar die von Elisabeth Wabitsch großartig gespielte Paula, die sich zu Charlotte hingezogen fühlt, doch Art entspannt ein breites Netz an Beziehungen und Sehnsüchten, stellt der Lust auf schnellen Sex, das Verlangen nach echter Liebe gegenüber.

Getragen von einem ungemein natürlich agierenden Ensemble gelang Art, die ganz auf die Jugendlichen und ihre Liebessorgen fokussiert, ein frisches, von tiefer Empathie durchzogenes und durch seine Authentizität bewegendes Porträt einer Generation.

Lustvoll mit Klischees über Migranten spielt der 1981 im Iran geborene und in Wien aufgewachsene Arman T. Riahi in "Die Migrantigen". Weil es in ihren Jobs als Schauspieler beziehungsweise Werbegrafiker nicht läuft, bieten sich Marko und Benny, die zwar einen Migrationshintergrund haben, sich aber voll und ganz als Wiener fühlen, für eine Dokuserie fürs Fernsehen in ihrem Viertel als Inbegriff der Migranten an. Um alle Klischees darüber zu bedienen, müssen sie freilich zuerst das Milieu studieren, und spielen bald dem Fernsehteam die gewünschten Kleinkriminellen vor.

Einfach gestrickt mag die Geschichte dieser turbulenten "Anti-Integrationskomödie" sein, doch geschickt dreht Riahi an der Handlungsschraube, fängt das Milieu im Viertel stimmig ein und kann vor allem auf trefflich besetzte und bis in die Nebenrollen vorzüglich gespielte Figuren vertrauen.

Auch im Bereich des Dokumentarfilms konnte man in Graz einige Entdeckungen machen. So arbeitet der 1975 in Linz als Sohn eines jugoslawischen Gastarbeiterpaares geborene Djordje Čenić in "Unten", der mit dem neu geschaffenen Franz Grabner-Preis ausgezeichnet wurde, zusammen mit Hermann Peseckas seine eigene Biographie auf. Leichthändig verknüpft das Duo dabei das Private mit dem Politischen von den Lebensbedingungen der Gastarbeiter im Österreich der 1970er Jahre über die langsame Integration bis zur Entdeckung der jugoslawischen Wurzeln und dem Jugoslawienkrieg.

Überladen und schwergewichtig wirkt das in der Zusammenfassung ist aber aufgrund Čenićs freimütigen Einblick in seine persönliche Geschichte und einem gehörigen Schuss Selbstironie ein ausgesprochen sympathischer, runder und ehrlicher Film, der an einem konkreten Beispiel exemplarisch vom Spannungsfeld zwischen Integration, Identität und persönlichen Wurzeln erzählt.

Der gebürtige Pole Dariusz Kowalski (Jahrgang 1971) schließlich bietet in seinem Dokumentarfilm "Seeing Voices" einen vielschichtigen Einblick in die Welt von Gehörlösen und ihre Identität. Auf jeden Kommentar und Interviews verzichtet Kowalski, beschränkt sich in seinem feinfühligen Film darauf, ein gehörloses Paar, dessen Kind ebenfalls gehörlos geboren wird, drei Jugendliche im Alltag und bei der Jobsuche, sowie die gehörlose Nationalratsabgeordnete Helene Jarmer, die für Chancengleichheit kämpft, mit der Kamera zu begleiten.

Frei von pädagogischem Gestus lässt Kowalski durch sorgfältige Verschränkung der drei Personengruppen den hörenden Zuschauer, der hier der Ausgestoßene ist, weil er die Untertitel zur Gebärdensprache lesen muss, in die Welt der Gehörlosen eintauchen und sensibilisiert ihn nachhaltig für die Situation von Gehörlosen und den richtigen Umgang mit ihnen.