Grenzgänge – Nord- und südkoreanische Kunst aus der Sammlung Sigg

Das Kunstmuseum Bern vereint, was unvereinbar erscheint: Gegenwartskunst aus Nord- und Südkorea. Zum ersten Mal begegnen sich die zwei konträren Kunstauffassungen über die Waffenstillstandszone hinweg und treten in einen faszinierenden Dialog. 75 Werke aus der Sammlung Sigg erlauben einen Streifzug durch die nord- und südkoreanische Kunst der 1970er- bis 2010er-Jahre. Begleitet wird die Ausstellung durch eine Auswahl handgemalter nordkoreanischer Plakate und Briefmarken aus der Sammlung von Katharina Zellweger.

Die Ausstellung im Kunstmuseum Bern führt an die Schwelle der seit 1953 getrennten koreanischen Halbinsel. Eine 250 Kilometer lange Grenze aus Stacheldrahtzäunen und Panzersperren teilt Korea in zwei Staaten, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Gegensätzlich ist auch die Kunst, die in den beiden Ländern zeitgleich entsteht. Im Norden wird eine sozialistisch-realistische Malereitradition gepflegt, während im Süden eine vitale Gegenwartskunstszene eine Vielfalt von Bild- und Mediensprachen für ihre Anliegen einsetzt. Die konträren Weltanschauungen treten in der Ausstellung in Dialog und laden dazu ein, sich der Geschichte sowie der Gegenwart Koreas anzunähern.

Zwei Kunstsysteme und drei Staaten / Nordkorea – Südkorea – China

Die Kunstwerke in der Ausstellung werden bewusst nicht nach Nationen getrennt sondern nach Motiven oder Themen gruppiert. Die Ausstellung umfasst sowohl sozialistisch-realistische Gemälde wie auch kritische Auseinandersetzungen von südkoreanischen Kunstschaffenden mit der Geschichte und Teilung Koreas. Chinesische Kunstschaffende, die an der Grenze zu Nordkorea aufgewachsen sind oder der koreanischen Minderheit in China angehören (Shen Xuezhe, He Xiangyu), werfen von ihrer Seite einen Blick auf den sozialistischen Nachbar oder simulieren ein fiktives nordkoreanisches Filmfestival im Widerstreit zwischen experimenteller künstlerischer Freiheit und propagandistischer Vorgabe (Utopia Group).

Die Kunst in Nordkorea hat den Auftrag, das politische System und die Machthaber zu stabilisieren und ihre Botschaften zu verbreiten. Es gibt sie nur als Staatskunst ohne freie Wahl von Motiven, Ausdrucksmitteln oder Ausstellungsmöglichkeiten. Diese Kunst schildert nicht den Alltag der Nordkoreaner:innen, sondern erzieht die Gesellschaft auf ein utopisches Fernziel hin. Darstellungen von Kim Il Sung, Kim Jong Il oder Kim Jong Un sind in jedem offiziellen Gebäude zu finden. Sie gelten fast als Ikonen, denn es ist ausserhalb des Landes verboten, solche Darstellungen zu besitzen.

Dennoch soll ein möglichst unvoreingenommener Blick neue Sichtweisen auf die Werke ermöglichen.

"Den Vorwurf, dass nordkoreanische Kunst lediglich Propaganda sei, erklärt nur einen Teil dieser Werke. Denn jede Kunst ist immer auch Ausdruck der Ideologie ihrer Zeit, und transportiert direkt oder indirekt etwas von einer Lebenswelt", sagt Kathleen Bühler, Kuratorin der Ausstellung, "statt vorschnell zu urteilen war mir wichtig, die Werke, die uns zugänglich sind, kritisch und vor dem Hintergrund ihrer Entstehungsbedingungen genauer zu untersuchen".

Darstellungen von historisch bedeutenden Momenten finden sich auch in der Gegenwartskunst in China und im Süden. So übersetzt der chinesische Künstler Feng Mengbo etwa eine Aufnahme eines nordkoreanischen Newsportals in ein Aquarell und schafft damit eine zeitgenössische Variante eines Historienbildes. Dieses zeigt Kim Jong Un, umgeben von ranghohen Militärs und der nordkoreanischen Presse am Rand eines Haifischbeckens stehend. Die zufällig gewählte Szene lässt uns etwas über die tägliche Inszenierung des Diktators in der nordkoreanischen Presse erfahren. Inbai Kim aus Südkorea hingegen stemmt sich mit seinen Werken gerade gegen das Pathos von heroischen Denkmälern. Er schafft Skulpturen, welche in keiner Weise politisch gedeutet werden können. Es sind anonyme Wesen mit rätselhaften Kritzeleien oder seltsamen Leerstellen auf dem Gesicht. Lediglich die gezeichneten Spuren auf ihrem Antlitz verweisen auf ihre Gefühlszustände.

"Grenzgänge" erzählt die Geschichte von Trennung, Trauma, Barrieren und Besuchen über reelle sowie imaginäre Grenzen. Der südkoreanische Künstler Sea Hyun Lee malte 2007 zwei rote Landschaftsgemälde (Red35 und Red33), die Ausschnitte des 250 km langen und 40 km breiten Grenzstreifen zeigen. Das Rot verweist auf die sozialistische Farbe (die im Süden tabuisiert wird) aber auch die seltsamen Landschaftsbilder, welche der Künstler in seiner Militärzeit mit dem Nachtsichtgerät gesehen hat. "Es sind Landschaften von Erinnerung und Schmerz", wie er festhält. Der chinesische Fotograf Shen Xuezhe präsentiert den Grenzfluss Tumen River in melancholischen Schwarzweiss-Aufnahmen und evoziert die Sehnsüchte, die mit Grenzen verbunden sind. He Xiangyu hingegen, der in China nahe der Grenze zu Nordkorea aufgewachsen ist, schwimmt in seinem Video The Yellow Swim Caps über den eisigen Grenzfluss Yalu, um sich zu vergegenwärtigen, was nordkoreanische Überläufer auf sich nehmen, wenn sie den illegalen Grenzübertritt nach China wagen. Die südkoreanische Künstlerin Kyungah Ham schmuggelt Bildvorlagen nach Nordkorea, um sie dort von professionellen Sticker:innen verarbeiten zu lassen. Dafür spannte sie chinesische Mittelsmänner ein, weil ihr der direkte Kontakt zu Nordkoreaner:innen verboten ist. Die Stickbilder weisen Motive auf, die in Nordkorea tabu sind, so etwa die Darstellung von Prunk wie im Werk Chandelier (2012/13).

Zwei Sammlungen, eine Ausstellung / Korea – Schweiz – Bern

Als Schweizer Botschafter in China war Uli Sigg zugleich auch als Botschafter für Nordkorea (1995 bis 1998) verantwortlich. Dadurch erhielt er vertieften Einblick in die nordkoreanische Realität und die einmalige Gelegenheit, Werke aus den dortigen Kunstakademien zu erwerben. Diese Darstellungen der Herrscher Kim Il Sung und Kim Jong Il dürfen normalerweise das Land nicht verlassen.

Durch seine Beziehungen nach Asien konnte Sigg eine Sammlung südkoreanischer Werke zusammentragen, welche sich dem Thema des geteilten Landes widmen. Wie immer in seiner umfangreichen Sammlungstätigkeit, trug und trägt er die Werke mit System zusammen und dient ihm die Kunst dazu, sich einem Land und seiner Geschichte sowie seinem gegenwärtigen Zustand anzunähern. Durch seine Kunstsammlung versuchte Sigg, die spannungsvolle Diskrepanz zwischen den beiden Landeshälften besser zu verstehen und die koreanische Sicht darauf kennenzulernen.

Als Ergänzung zu den Werken aus der Sammlung Sigg ist eine Auswahl von nordkoreanischen Plakaten aus der Sammlung Zellweger zu sehen. Katharina Zellweger war in den 1990er-Jahren aktiv in der Koordination von humanitärer Hilfe in Nordkorea tätig und lebte mehrere Jahre in Pjöngjang. Sie hat die ausgestellten Plakate zwischen 2006 und 2019 erworben. Die Plakate werden in einem der staatlichen Kunstateliers von Hand gemalt und als Vorlage für gedruckte Plakate, Briefmarken oder Postkarten benutzt.

Zugute kommt dem Kunstmuseum Bern die besondere Beziehung, welche die Schweiz und die koreanische Halbinsel seit je miteinander unterhalten: Mit Südkorea bestehen seit der Nachkriegszeit sehr enge wirtschaftliche Bande, auch in den Bereichen Wissenschaft und Kultur gibt es gemeinsame Projekte und Initiativen. Aber auch zu Nordkorea bestehen Bezüge. So ist die Schweiz seit dem Ende des Koreakrieges 1953 in Friedensbemühungen einbezogen und leitet unter anderem Militäreinsätze an der südkoreanischen Grenze. Zudem gibt es einen ganz unmittelbaren, persönlichen Bezug zu Bern: Der heutige nordkoreanische Staatschef Kim Jong Un ging, getarnt als Kind eines Botschaftsangehörigen, elf Jahre lang in Bern zur Schule.

Grenzgänge. Nord- und südkoreanische Kunst aus der Sammlung Sigg
Bis 5. September 2021
Kuratorin: Kathleen Bühler, Kuratorin Gegenwart, Kunstmuseum Bern
Leihgebende: Uli Sigg (Sigg Collection), Katharina Zellweger