Die Heimtücke des Neoliberalismus

Die Kunsthalle Wien zeigt die erste Einzelausstellung des in Singapur lebenden Künstlers Ho Rui An in Europa. Sie umfasst sowohl Videoinstallationen aus jüngeren Werkgruppen des Künstlers als auch neue Arbeiten, die für diese Ausstellung entstanden sind.

Im Mittelpunkt von Hos essayistischer Praxis steht die Analyse, wie der Neoliberalismus auf heimtückische Weise alle Regionen der Erde und alle Lebensbereiche – von der politischen Ökonomie bis zum gesellschaftlichen Imaginären und unserem Zeitgefühl – durchdrungen hat. "In The Ends of a Long Boom" untersucht Ho vor allem die komplexen Verzweigungen der spätkapitalistischen Ideologie in den Medien und der kulturellen Produktion. Der Künstler schneidet Filmsequenzen, dokumentarische Bilder und Diskurse zusammen und erzeugt dadurch eine polyphone Erzählung, die ausgewählte historische Ereignisse und die vom Westen kontrollierte Geschichtsschreibung in einen neuen Deutungsrahmen einbettet. Er geht insbesondere den rassifizierten, komplexen Beziehungen zwischen dem "Osten" und dem "Westen" sowie zwischen ostasiatischen Nationalstaaten nach und verdeutlicht so die anhaltenden Nachwirkungen des imperialistischen Erbes.

Im Juli 1997, kurz vor dem Ausbruch der sogenannten "Asienkrise", veröffentlichten die US-amerikanischen Zukunftsforscher Peter Schwartz und Peter Leyden in der Zeitschrift Wired den Essay "The Long Boom: A History of the Future, 1980–2020". Darin entwarfen sie ein "radikal optimistisches" Szenario von andauerndem Wirtschaftswachstum und einer zunehmenden globalen Verflechtung von den 1980ern bis zum Jahr 2020 – ein Szenario, das niemals Wirklichkeit wurde. Inzwischen schreiben wir das Jahr 2021, ein Jahr nach dem Ende des von Schwartz und Leyden falsch vorhergesagtem Goldenen Zeitalters und ein Jahr nach dem Ausbruch einer globalen Pandemie. Die katastrophale aktuelle Situation verleiht dem Ausstellungstitel, "The Ends of a Long Boom", eine ironische Note, nicht zuletzt, weil die Reaktionen auf die Pandemie weltweit zur Forcierung neoliberaler Strategien zugunsten der Wirtschaft geführt haben – Strategien, die ihrerseits stark zur Verbreitung des Virus beigetragen hatten.

Wie Ho aufzeigt, ging die allumfassende Expansion des freien Marktes in den zurückliegenden Jahrzehnten eben nicht mit umfassender Freiheit, Offenheit und Nichteinmischung einher - sondern mit vielfältigen Weisen, die Menschen entweder zu überzeugen oder zu nötigen. Im Deregulierungswettlauf wurde die "unsichtbare Hand" des wegweisenden Wirtschaftswissenschaftlers Adam Smith seit dem Kalten Krieg von anderen Figurationen der neuen politischen Ökonomie abgelöst, darunter die "sichtbare Hand" des Entwicklungsstaats oder die Figur des Studenten.

Vor diesem Hintergrund versucht "The Ends of a Long Boom" nicht, die Zukunft vorherzusagen oder sich mit irgendwelchen postfaktischen Statements zu identifizieren. Vielmehr springt die Ausstellung zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her und verweilt gelegentlich in der "Vergangenheit der Zukunft", um die vielstimmigen Geschichten zu erzählen, die sich hinter den offiziellen Erzählungen verbergen.

In seinen präzise inszenierten Lecture Performances und Installationen wechselt Ho zwischen dem Geschichtenerzählen, ikonografischen Recherchen, Wirtschaftsanalysen und journalistischen Nachforschungen; mal folgt er dabei einer gnadenlosen Logik, mal agiert er sprunghaft oder schweift ab – immer jedoch mit subtilem Witz. Der Künstler mixt wirtschaftswissenschaftliche Veröffentlichungen und die Titelseiten von Zeitungen mit Hollywood-Filmproduktionen und Ausstellungsdisplays; dadurch spricht er verschiedene Schichten des menschlichen Intellekts und Vorstellungsvermögens gleichzeitig an und zeigt, wie Fiktionen und Ideologien zusammenwirken – oder sich sogar wechselseitig bedingen.

Wie interpretieren wir die ideologischen Narrative in medialen Darstellungen und kulturellen Produktionen? Wie beeinflussen (oder, vielleicht besser, überbieten) diese die Realität, in der wir leben? Welche Herrschaftsmechanismen legitimieren sie, und welche alternativen Geschichten blenden sie aus?

In The Ends of a Long Boom behandelt Ho diese komplexen Fragen anhand von sechs Kunstwerken:

"Asia the Unmiraculous" (2018–2020) thematisiert die westliche Vorstellung von Asien und das sogenannte "Wirtschaftswunder in Ostasien" – das rapide Wirtschaftswachstum der vier asiatischen "Tigerstaaten" zwischen den 1960er- und 1990er-Jahren, das mit der Krise von 1997 endete.

In "Student Bodies" (2019) beginnt die Erzählung mit Studenten aus Satsuma und Chōshū, die in den 1860er-Jahren zum Studium nach England geschickt wurden, um den westlichen Liberalismus kennenzulernen. Sie kehrten später nach Japan zurück, um dort Schlüsselpositionen in der neuen, zentralisierten Regierung der Meiji-Ära einzunehmen.

In "2027" (2021) werden kurze Sequenzen aus dem Hollywood-Science-Fiction-Film "Children of Men" (2006) neu inszeniert und endlos gedehnt, um verschiedene Darstellungen apokalyptischer Zukünfte zu untersuchen.

"The Long Boom" (2021) hingegen verortet das ideologische Trugbild von Schwartz und Leyden buchstäblich auf dem Boden der Tatsachen, indem ihre Worte auf den Boden gedruckt werden.

Gleich vor dem Eingang zur Ausstellung appropriiert "Ultimate coin test china high-speed rail" (2018) ein Internet-Meme, in dem eine Euro-Münze senkrecht auf das Fensterbrett eines chinesischen Hochgeschwindigkeitszugs gestellt wird, um die Stabilität des Zuges zu testen. Ho transformiert dieses Videomaterial in einen Loop, in dem die Münze niemals umfällt, und kommentiert so die Illusion der (von Technologien getriebenen) Stabilität des Kapitalismus.

Die Performance "The Economy Enters the People" (2021), die im September 2021 stattfinden wird, wirft schließlich einen genaueren Blick auf die Beziehungen zwischen Singapur und China, seit China versucht, die Marktwirtschaft an seinen Parteistaatsapparat anzupassen.

Ho Rui An ist ein Künstler und Autor, der an der Schnittstelle von bildender Kunst, Film, Performance und Theorie agiert. Er arbeitet vorwiegend medienübergreifend mit Vorträgen, Essays und Filmen, um zu untersuchen, wie Bilder produziert werden, zirkulieren und in den Kontexten des Globalismus und des Regierungshandelns verschwinden.

Ho Rui An. The Ends of a Long Boom
17. Juli bis 10. Oktober 2021
Kuratorin: Anne Faucheret