Textile Ausgangspunkte

Mit Carmen Pfanner und Tanja Boukal präsentiert die Bludenzer Galerie Allerart zum Jahresausklang zwei Positionen, für die das textile Arbeiten ein zentraler Ausgangspunkt darstellt. Die beiden Künstlerinnen setzen auf traditionelle Arbeitstechniken, die zu besonderen Artefakten aktueller existenzieller Betroffenheit von Individuum und Gesellschaft künstlerisch verarbeitet werden.

Hintergrund der Ausstellung ist, dass Kurator Egender die 1957 in Dornbirn geborene Carmen Pfanner zu einer Werkschau eingeladen hat. Mit der Einladung war die Aufforderung verknüpft, eine weitere Künstlerin oder einen weiteren Künstler in die Ausstellung mit einzubeziehen. Pfanner entschied sich für die 1976 in Wien geborene Kunstschaffende Tanja Boukal, die sie zwar nicht persönlich kannte, aber von der sie schon mehrere Ausstellungen gesehen hatte und von ihr wußte, dass sie ebenfalls textil arbeitet. Die in Bludenz gezeigten Exponate der beiden Kunstschaffenden werden aber nicht in einen Dialog zueinander gestellt, sondern im Prinzip handelt es sich um zwei eigenständige Einzellausstellungen im selben Raum.

Carmen Pfanner bezieht sich in ihrem Beitrag auf einen Hammer ihres Vaters sowie eine Schere ihrer Großmutter. Beim Hammer, den sie für das Einschlagen von Ösen verwendete, fielen ihr die eingebrannten Initialen "Pf.B." in übergroßen Lettern auf. Auch an ein Bild eines steinernen Hammers aus einem Berliner Museum, abgebildet in einem alten Buch aus den 1930er Jahren, erinnerte sich sich. Beide in Kombination sind nun der Kern ihres Ausstellungsthemas, das sie mit "Pf.B. 1 plus X" übertitelt. Den Hammer aus dem Buch hat sie bereits 2017 ein paarmal auf Stoff drucken lassen. Gedacht etwa zur weiteren Verarbeitung zum Thema "Erstes Werkzeug des Menschen". Darauf zu sehen sind auch die in der Schneiderei üblichen Anwendungen des "Abnähers", was so viel bedeutet, wie einen flachen Grundschnitt aus Papier oder Stoff in einen den Rundungen des menschlichen Körpers entsprechenden Schnitt mittels Abnähern, Einschnitten zum Erweitern und Faltungen abzuändern. Den Grundschnitt dafür lieferte eben der Umriss des steinernen Hammers.

Für die Ausstellung in Bludenz hat die Künstlerin fünf dieser Stoffdrucke mit jeweils einem anderen "Schnitt" gestaltet. Parallel dazu gibt es 3-D-Objekte, die sie nach diesen Schnitten – inklusive ein wenig kompositorischer Freiheit - genäht, gefüllt und bearbeitet hat. Das Ergebnis einer weiteren Schnitt-Konstruktion ist die Arbeit "Torso". Ein Wandobjekt, das aus einem aus Pferdehaar gewebten, klassischen Herren-Jacket-Einlagenstoff der Firma "Hänsel" aus frühen Jahren genäht ist. Ergänzt werden diese Arbeiten durch drei große Reliefs. Der Künstlerin besonders wichtig ist, dass der Hammer ihres Vaters Pf.B. und die (Schneider)-Schere der Großmutter in der Ausstellung mitverwendet und in einer Vitrine präsentiert werden.

Mit diesen Transformationsstrategien spricht Pfanner unter anderem das Verschwinden von Handwerkstechniken und das Sterben von Arbeitplätzen an. Dies ist denn auch eine der Parallelen zu Tanja Boukals Arbeit in dieser Ausstellung.

Tanja Boukal richtet in ihrem Schaffen den Blick vor allem auf Menschen, die normalerweise nicht im Mittelpunkt stehen, aber durch ihr oft unbemerktes Handeln sehr vieles bewirken. Seit Mitte der 1990er Jahre arbeitet Boukal, beeinflusst von ihrer Ausbildung als Bühnenbildnerin und Kunststickerin, vor allem im Bereich der Plastik und Installation. Seit einigen Jahren nutzt sie die Fotografie als Basis für ihre Arbeiten. Als Zeichen der Bedeutsamkeit der von ihr dargestellten Menschen verwendet sie seit 2007 zunehmend aufwendige Handwerkstechniken wie Stricken, Sticken, Häkeln und Nähen.

In Bludenz präsentiert Boukal ihr gesamtes "Mulhouseprojekt". Dabei handelt es sich um ein vielschichtiges Forschungs- und Schaffensprojekt, für das sie sich auf Einladung der Kunsthalle Mulhouse und des dortigen Stadtarchivs mit dem elsässischen Textilunternehmen Dollfuss Mieg et Compagnie (DMC) auseinandergesetzt hat. Die Firma war eine der ersten, die 1884 ein vollständiges Handbuch des Textilhandwerks veröffentlichte. Verfasst wurde die Enzyklopädie von Thérèse de Dillmont, einer österreichischen textilen Handarbeitslehrerin, die einst dieselbe Stickschule in Wien besucht hatte, wie mehr als ein Jahrhundert später Tanja Boukal. Die Künstlerin recherchierte mehrere Monate im Archiv von DMC. Ihr Ziel war es, alle Muster der Enzyklopädie zu reproduzieren, für die noch immer das Material von DMC hergestellt wird. Sie fotografierte im ehemaligen Firmenareal von DMC und kombinierte dies mit alten Fotos von verschiedenen Mitarbeitenden aus dem letzten Jahrhundert. Sie wollte dokumentieren, was gewesen ist, was verloren ging und welche Entwicklungen stattgefunden haben. Neben einem Video, das die Geschichte des Projekts von Boukal darlegt, sind unter anderem auch drei Serien von Stickarbeiten zu sehen. Dabei handelt es sich um auf Stramin gedruckte und durch Gobelinstickerei vollendete Bilder von Produktionsmaschinen.

Tanja Boukal und Carmen Pfanner
12. November bis 30. Dezember 2021