Monika Sosnowska im Kunstraum Dornbirn

Monika Sosnowskas raumgreifende skulpturale Arbeiten wirken in ihrer ästhetischen Eigenheit vertraut und doch fremd. Ein geknicktes T-Profil von 5 Metern Höhe lehnt gegen eine Wand des Kunstraum Dornbirn. Der Steg wölbt sich am Knick auf, das Profil trägt mit seinen 900 Kilogramm nichts mehr außer sich selbst. Ein Stahlrohr mit einem Durchmesser von 182 Zentimetern ist mittig durchgerissen, erinnernd an den Riss eines Papierblattes, und auf einer Länge von 10 Metern aufgerollt. Anfang und Ende des Rohrs sind kreisrund-intakt, liegend und stehend im Raum. Daneben hängt von der Decke ein 7,5 Meter hohes gefaltetes Stahlgerüst, das sich leichtfüßig mit einer Ecke am Boden abstützt. Ein Bündel Stahlstreben ragt direkt aus der hinteren rechten Wand der Ausstellungshalle. Wie von der Schwerkraft gebändigt erinnert es an eine Art überdimensionalen Pferdeschwanz.

Monika Sosnowskas massive Arbeiten vermitteln eine irritierende Leichtigkeit, die in der schnellen, humorvollen Geste der Manipulation von industriell hergestellten Bauelementen nur kurz standhält. Den schwergewichtigen Skulpturen ist ihr Produktionsprozess spürbar eingeschrieben, die Leichtigkeit wird von der tonnenschweren Materialität konterkariert und aufgelöst. Der Titel der Arbeit „T“ (2017) orientiert sich am Ausgangsmaterial – nicht an der entstehenden L-Form –, nämlich einem tragenden Bauelement, welches statischen Ansprüchen Rechnung trägt und nach dem Bauprozess meist unsichtbar ist. So auch die Stahlstreben von „Rebar 16“ (2017), einem Bündel aus 16 Millimeter dicken Bewehrungsstäben, deren Oberfläche eine gute Haftung für den umgebenden Beton bietet, um Zug- und Druckkräften im Gebäudeverbund standzuhalten. Das weiße ehemalige Rohr ist mit „Pipe“ (2020) bezeichnet und die hängende Gitterstruktur nennt die Künstlerin „Facade“ (2013). Im letzten Fall lasten 1,3 Tonnen Materialschwere auf der singulären Aufhängung – und pointiert ironisch auf dem Berührungspunkt einer Ecke auf dem Boden. Sosnowska ahmt die Baumaterialien nicht im heute vielbeschworenen 3D-Drucker nach, sondern lässt sie industriell fertigen, sprich bautechnisch voll funktionsfähig ausbilden. Die Künstlerin eignet sich die Charakteristika der Materialien an, indem sie nach der Herstellung deren Funktion durch kraftvolle Manipulation wieder ad absurdum führt. Die fertigen Teile werden gebogen und verzogen, bis das Material ermüdet und der neuen Form nachgibt, die es dann unveränderbar annimmt und trägt. Dabei spielen Zufall und Schnelligkeit eine schwindend geringe Rolle. Vielmehr ist die inhärente Choreographie der Arbeiten in Modellen und Zeichnungen vorbestimmt, die Tragfähigkeit der Struktur durchdacht und die räumlich-suggestive Wirkung präzise gesetzt. Den Arbeiten ist eine dysfunktionale Referenz ihrer ursprünglichen Bestimmung inhärent, die eine besondere Ästhetik und Poetik zu erzeugen vermag.

Was die Künstlerin uns bereitstellt, ist eine Kontextverschiebung par excellence. Sie changiert gekonnt zwischen kontextueller Offenlegung und sinnlichem Erleben. Die Schönheit von Sosnowskas Werken steht gleichbedeutend neben technischen, historischen und psychologischen Komponenten ihrer künstlerischen Aneignungsstrategie. Sie schließt uns kollektiv und individuell ein, thematisiert unsere gebaute Umwelt, unseren Lebensraum und das gesellschaftliche Zusammenleben durch den Gebrauch von Bauelementen, die in ihrer zeitlichen Beständigkeit und in ihren Modeerscheinungen in Widerstreit mit der jeweiligen Gegenwart treten oder diese tragen.

Sosnowskas künstlerischer Blick auf die gebaute Umgebung ist eng verbunden mit den zeitgeschichtlichen Entwicklungen. In der Arbeit „Facade“ ist dies konzeptuell eindrücklich: Die Künstlerin lebt in der polnischen Hauptstadt Warschau, deren massive Zerstörung im Zweiten Weltkrieg eine architektonisch schwierige, diverse und von den jeweiligen Regimeinteressen oder heutzutage von Investorengeldern gesteuerte Anpassung des Stadtbildes zur Folge hat. Gesellschaftliche Prozesse drücken sich in Architektur aus. Ökonomische, soziale und kulturelle Parameter finden im gebauten Raum eine konkrete Verkörperung. So etwa in einem viergeschossigen Gebäude verkleidet mit Glas und Stahl, entstanden im Jahr 1963 in bewusster Abkehr vom sozialistischen Realismus der Stalin-Ära und im Kontrast zur neotraditionalistischen Bauweise der Nachbarhäuser in den 1940er und 1950er Jahren. 2011–2015 musste das Gebäude einerseits den gegenwärtigen Nutzungsansprüchen folgend umgestaltet werden, andererseits war die Stahl-Glas-Fassade in einem sehr schlechten und damit nicht mehr tragfähigen Zustand. Die Umgestaltung der Architekten Diener & Diener sorgte international für Diskussionen mit polarisierender Kritik und Lob in der Fachwelt. Diese Geschichte steht symbolisch für zahlreiche andere Beispiele im historischen Verlauf, die das kulturelle und gesellschaftliche Leben in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg und durch die sozialistische Zeit prägten. All das steckt als Hintergrundrauschen in Monika Sosnowskas „Facade“ – denn die Nachbildung der mittlerweile ersetzten Stahlkonstruktion für die lediglich sich selbst tragende Vorhangfassade des Gebäudes ist die Grundlage ihrer Arbeit. Sie ließ die Konstruktion kopieren, in allen Einzelteilen und im Maßstab 1:1. Nachdem die perfekte Replik aus 8 x 10 Metern fertig gestellt war, kamen wieder die Kräfte industrieller Baumaschinen zum Einsatz: biegen, zerren, falten und ziehen – ein langwieriger Prozess. Drei Monate hat es gedauert, bis das standhafte Material nachgab, sich seiner neuen Form fügte. In Faltungen und Drehungen hängt die ursprünglich rhythmisch gegliederte Fassade nun dramatisch verwickelt und verbogen an einem einzigen Seil.

In den Entwürfen und Bauten Mies van der Rohes einst als Zeichen der Moderne gefeiert und als hohe Ingenieurskunst gewürdigt, überträgt Sosnowska das Stahlgerüst der ikonischen Vorhangfassade der Nachkriegsmoderne in „Facade“ als eigenständige Formgebung in den institutionellen Raum der bildenden Kunst. In dieser neuen Verortung offenbaren Sosnowskas Arbeiten ihren Umgang mit Raum und Architektur nicht nur auf bautechnischer oder physischer, sondern auch auf emotionaler, psychologischer oder historischer Ebene. Die von ihr bearbeiteten Kernelemente adressieren und thematisieren Tendenzen des polnischen Konstruktivismus der 1930er Jahre, internationale Phänomena minimalistischer und konzeptueller Kunst der 1950er und 1960er Jahre sowie der modernistischen Architektur Osteuropas in ihren Gegensätzen und Widersprüchen.

Gebäude werden als Orte des Erlebten, Orte der Erinnerung verstanden – mit all ihren geschichtlichen, politischen, psychologischen und anthropologischen Markierungen, die der Architektur im Laufe der Zeit zugefügt werden. Das Zusammenspiel aller vier Werke in Wechselwirkung mit der rauen, unbehandelten Architektur der ehemaligen Montagehalle des Kunstraum Dornbirn ergibt ein psychosoziales Bild unserer Geschichte und Gegenwart.

Sosnowska wurde 1972 in Ryki, Polen, geboren. Sie erlebte den Wandel des politischen Systems ihres Heimatlandes vom Kommunismus zur Demokratie und die starken gesellschaftlichen Auswirkungen. 2003 erlangte sie mit ihrer Arbeit „The Corridor“, einer Intervention im Rahmen der Arsenale-Ausstellung der 50. Biennale von Venedig, internationales Ansehen. Vier Jahre später vertrat Sosnowska Polen auf der 52. Biennale von Venedig mit der monumentalen Installation „1:1“.

Monika Sosnowska
Fatigue
17. Juni bis 30. Oktober 2022
Eröffnung: Donnerstag, 16. Juni 2022, 19 Uhr