Rajkamal Kahlon - Do You Know Our Names?

„Do You Know Our Names?“ Diese Frage stellen in der kommenden Ausstellung des Konstanzer Kunstvereins sehr unterschiedliche Menschen – die historischen Fotografien und Zeichnungen, die sie abbilden, klassifizieren sie als fremde Wesen „exotischer Rassen“, unter ihnen „der Eskimo“ oder „die Bantu-Frau“.

Zu Wort kommen lässt sie Rajkamal Kahlon, eine in den USA aufgewachsene Künstlerin mit indisch-pakistanischen Familienwurzeln, klassisch ausgebildet in Kalifornien und New York, international ausgestellt und vielfach ausgezeichnet (u.a. Villa Romana-Preis 2019), in Berlin lebend und seit 2021 als Professorin für Malerei an der Hochschule für bildende Künste Hamburg tätig.

So vielfältig diese biografischen Daten sind, so verschieden, ja auf den ersten Blick gegensätzlich sind auch die inhaltlichen Bezüge, die Rajkamal Kahlon in ihrem künstlerischen Werk kombiniert: Auf der einen Seite beschäftigt sie sich mit unterschiedlichen Erscheinungsweisen Unterdrückungs- und historischer Gewalt und Entwertungsmechanismen analysiert ebenso wie kolonialgeschichtliche Gewaltexzesse der zeitgeschichtlich näheren Balkankriege oder eines Überfalls auf einen Sikh-Tempel in Wisconsin. Andererseits bekennt sie sich zu ästhetischen Kategorien wie Verführung, Schönheit und Humor, die sie mit ihren malerischen Mitteln anschaulich machen will. Dabei sieht sie ihre künstlerische Praxis als eine mögliche Form von „Sorgearbeit“, jenseits materiellen Gewinnstrebens, mit der Idee, Prozesse sozialer Wissensproduktion anzustoßen und gesellschaftliche Verantwortung für andere wahrzunehmen.

In ihrer Ausstellung im Kunstverein Konstanz deckt Rajkamal Kahlon insbesondere auf, wie ideologielastig kolonialgeschichtlich geprägte Bilddokumente sind und wie deren eurozentrisches Weltbild zu rassistischen Überzeugungen beiträgt, die unterschwellig bis heute fortwirken.

In einem um 1900 erschienenen ethnographischen Werk (Die Völker der Erde des Zoologen, Biologen und Pädagogen Kurt Lampert), Fundstück aus einem Wiener Antiquariat, übermalt Kahlon stereotype Abbildungen des „Wilden und Primitiven“ Seite um Seite, und gibt in ihren farbigen Ergänzungen den dargestellten Menschen Würde und Schönheit, bisweilen auch in humorvoller Transformation. Indem der Text der über 300 bearbeiteten, einzeln an der Wand installierten Buchseiten fragmentarisch erhalten und lesbar bleibt, wird der Riss zwischen historischem Druckerzeugnis und dessen Analyse durch Kahlons malerische Mittel unmittelbar nachvollziehbar.

Einzelne Fotografien der Buchvorlage überträgt Kahlon in ein größeres Format (70 x 100 cm), befreit sie aus der beklemmenden, historischen Sichtenge und erhebt sie zu Einzelpersönlichkeiten, die sie klassisch als Brust- oder Schulterstück porträtiert, einer Galerie bedeutender Ahnen nicht unähnlich.

Die dreidimensionalen Cut-outs, auf Holz applizierte Malerei, ragen im Eingangsbereich bis zu zwei Meter in die Höhe und wirken wie eine fernöstliche Wächtergesellschaft, vielgliedrige Wesen, die klaren Blicks Handgranaten präsentieren und deren ein oder anderes Glied, Arm oder Bein, zu Schwert oder Maschinengewehr mutierte.

Wenn Rajkamal Kahlon die dargestellten Menschen fragen lässt: „Do You Know Our Names?“ wird niemand Namen nennen können. Aber viele Besucher:innen der Konstanzer Ausstellung werden sich an besondere Persönlichkeiten erinnern, an diverse Individuen, oft schön, prächtig oder gar majestätisch, in überraschenden Haltungen, mit ungewöhnlichen Attributen und manchmal voller Witz.

Rajkamal Kahlon, Do You Know Our Names?
16. Juli bis 18. September 2022