Richard Gerstl - Inspiration und Vermächtnis

Zeitlebens galt Richard Gerstl als zu radikal – noch heute hat sein Werk eine ungebrochene Sprengkraft. Dies zeigt das Kunsthaus Zug in einer grossen Sonderausstellung eindrücklich und verbindet 40 seiner hochkarätigen Hauptwerke aus Wien, New York und Zug mit zeitgenössischen Positionen. Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Leopold Museum in Wien.

Rebellisch, radikal und unverstanden: Der österreichische Künstler Richard Gerstl (1883–1908) war seiner Zeit weit voraus. Während seines kurzen, aber intensiven Schaffens stiess er auf Ablehnung, nach seinem Tod drohten seine Arbeiten in Vergessenheit zu geraten. Das Kunsthaus Zug zeigt mit Leihgaben aus u.a. dem Leopold Museum, dem Belvedere, dem Wien Museum und dem Arnold-Schönberg-Center in Wien in einer grossen Sonderschau diesen aussergewöhnlichen Künstler, auch um sein Werk einem grösseren Publikum bekannt zu machen. Denn das Oeuvre Gerstls ist in Wien vielfach rezipiert – über Österreichs Grenzen hinaus aber immer noch weitgehend unbekannt. Und das obwohl Gerstl sich als zentrale Figur in die Avantgarde der Kunstgeschichte eingeschrieben hat. Seine herausragenden Gemälde müssen den internationalen Vergleich nicht scheuen. Sie waren und sind Inspiration für bedeutende Gegenwartskünstler:innen wie Martha Jungwirth, Georg Baselitz oder Günter Brus. Die Sonderausstellung im Kunsthaus Zug verbindet daher Gerstls Hauptwerke mit zeitgenössischen Positionen und zeigt die ungebrochene Aktualität seines Schaffens. Als sogenannter "erster österreichischer Expressionist" hat er bis heute einen ungeheuren Einfluss auf nachkommende Künstlergenerationen.

Weltweit zweitgrösste Gerstl-Sammlung im Kunsthaus Zug

Es benötigte mehr als zwei Jahrzehnte, um Richard Gerstl wiederzuentdecken – eine Wiederentdeckung, die eng mit dem Kunsthaus Zug verbunden ist: Fritz Wotruba, einer der bedeutendsten Bildhauer Österreichs, erwarb aus dem Nachlass Gerstls einen Grossteil der Werke für die Galerie Würthle, die Fritz und Editha Kamm-Ehrbar aus Zug gehörte. Das Ehepaar Kamm-Ehrbar und Wotruba trugen mit Ausstellungen und Leihgaben massgeblich zur posthumen Bekanntheit von Gerstl bei. Zudem tauschten die Kamms mit dem einflussreichen, österreichischen Sammler Rudolf Leopold Werke aus. Beide Sammlerfamilien beschlossen in den 1990er-Jahren ihre Gerstl-Sammlungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Mit der Dauerleihgabe der Stiftung Sammlung Kamm betreut das Kunsthaus Zug heute die weltweit zweitgrösste Gerstl-Sammlung nach dem Leopold Museum in Wien.

Der radikale Unbekannte

Bis zum heutigen Tag liegt ein Schleier des Ungewissen über Richard Gerstl – aufgrund fehlender Fakten sind Leben und Werk durchsetzt mit Geschichten und Legenden. Immer wieder stiess er sich an Autoritäten, fand sich schwer im Kreis seiner Malerkollegen zurecht oder überwarf sich mit Lehrern und Ausstellungsmachern. Neben der Malerei zeigte Gerstl ausserordentliches Interesse an Philosophie, Psychologie, Musik und Literatur. Eine zentrale Rolle in seinem Leben spielte der enge Kontakt mit dem Musikerkreis um den Komponisten Arnold Schönberg. Die Beziehung spiegelt sich in Gerstls Werk wider: Die Familie Schönberg ist immer wieder Sujet seiner Bilder. Jedoch fand diese Freundschaft im Sommer 1908 ein jähes Ende: Als Schönberg herausfand, dass seine Frau Mathilde und Gerstl eine Liebesbeziehung führten, verbannte er den kongenialen Künstler, mit dem er zu malen begonnen hatte, aus dem Schönberg-Kreis. Das darüber hinaus fehlende Ansehen seines Werks trieben den Künstler am 4. November 1908 – mit nur 25 Jahren – in den Selbstmord. Erhalten blieben etwa 70 seiner Arbeiten.

Inspiration und Vermächtnis

Gerstls Arbeitsweise zeigt eine hohe Bereitschaft zu gestalterischen Experimenten. Er setzte sich mit der internationalen Kunst seiner Zeit auseinander und schuf noch vor Oskar Kokoschka und Egon Schiele ein eigenständiges expressives Werk voller stilistischer Neuerungen, das den akademischen Konventionen der damaligen Zeit radikal widersprach. Für die Kunstschaffenden ab 1960 stellt Gerstl jedoch eine Entdeckung dar: über die Grenzen des österreichischen Aktionismus hinaus, wird er bis heute rezipiert. Von seiner ausdrucksstarken, ebenso rohen wie differenzierten Malweise inspiriert, setzen sich die Kunstschaffenden auch mit der Kompromisslosigkeit seiner künstlerischen Haltung auseinander. Die Ausstellung umfasst unter anderem eine Filmsatire sowie Werke von Günter Brus, Hermann Nitsch und Otto Muehl bis Georg Baselitz, Martha Jungwirth und Herbert Brandl. Ihre Arbeiten zeigen: Gerstls Werk wirkt bis heute nach.

Richard Gerstl
Inspiration – Vermächtnis
Kurator: Dr. Matthias Haldemann, kuratorische Assistenz: Leonora Kugler
14. bis 4. Dezember 2022