Pieter Bruegel und seine Zeit

Die Albertina präsentiert in der Ausstellung eine Auswahl von rund 90 Werken aus ihrem eigenen Bestand, welche die unvergleichliche Blüte der Zeichnung in den Niederlanden des 16. Jahrhunderts veranschaulicht.

Neben berühmten Meisterwerken von Jan de Beer, Pieter Bruegel dem Älteren oder Hendrick Goltzius werden auch Blätter gezeigt, die nach erstmaliger kunsthistorischer Bearbeitung und teilweiser Restaurierung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Schau veranschaulicht die tragende Rolle der Zeichnung in der Frühen Neuzeit als eigenständiges Ausdrucksmittel, denn kaum eine Epoche der europäischen Geschichte sah eine so erstaunliche Vielfalt der Zeichenkunst wie die Niederlande in jenen Jahren.

Allen voran ist es Pieter Bruegel, der als herausragender Vertreter seiner Gilde die Kunstproduktion der "Niederen Lande" über Jahrzehnte hinweg prägte. Voller Witz und Ironie erzählt sein vielseitiges grafisches Schaffen von den tiefgreifenden Umbrüchen eines Jahrhunderts, das die Brücke bildet zwischen dem ausgehenden Mittelalter und dem anbrechenden Barock. Bruegel steht damit exemplarisch für eine ganze Reihe von Persönlichkeiten, die in ihren Zeichnungen neue Wege einschlagen und die bildende Kunst in den Niederlanden grundlegend verändern. Sein Name und sein Werk dienen als Ankerpunkte dieser Schau.

Die Künstler der Frühen Neuzeit schaffen mit größter technischer Virtuosität und außerordentlichem Erfindungsreichtum Bilder einer sich radikal verändernden Lebenswelt. Vor dem Hintergrund der Reformation und der Wirren des Achtzigjährigen Kriegs werden jahrhundertealte Wahrheiten zunehmend infrage gestellt. Damit einhergehend verändert sich die Art und Weise, in der die Wirklichkeit künstlerisch auf dem Papier reflektiert wird.

Die Zeichnung befreit sich im 16. Jahrhundert von den Zwängen der dienenden Funktion als Vorzeichnung, Studie oder Skizze. Sie wird erstmals ein autonomes Mittel künstlerischen Ausdrucks: das Bild auf Papier. Neben althergebrachten Themen wie Andachtsbildern oder Bildnissen taucht nun eine Vielfalt noch nie dagewesener Motive auf: kritische Moralsatiren etwa, weite Landschaften, fein gezeichnete Porträts. In sensiblen Helldunkelzeichnungen, mit Kreide oder mit Feder und Tinte werden diese neuen Sujets dargestellt.

Zu den Highlights der Ausstellung gehören der berühmte "Baummensch" von Hieronymus Bosch, eine der ersten autonomen Zeichnungen der niederländischen Kunst, Pieter Bruegels Darstellung der "Trägheit" aus der Serie der Sieben Todsünden – bevölkert von teuflischen Mischwesen und Dämonen – sowie auf der anderen Seite die charmanten Porträts und differenzierten Federkunststücke von Hendrick Goltzius oder Jacob Matham, welche die enorme Vielfalt der zeichnerischen Mittel vor Augen führen. Erstmals nach umfangreicher Restaurierung ist das Hauptwerk des Antwerpeners Jan de Beer zu sehen: Entwürfe für ein über vier Meter hohes Glasfenster, die das christliche Motiv der "Wurzel Jesse" thematisieren und damit die königliche Abstammung Jesu aus dem Hause Davids darstellen.

Die Albertina verdankt ihrem Gründer, Herzog Albert von Sachsen-Teschen, und seiner Gemahlin, Erzherzogin Marie Christine von Österreich, die schönsten Hauptwerke dieser Epoche in außergewöhnlich hoher Qualität. Herzog Albert war ab 1780 habsburgischer Generalstatthalter der Österreichischen Niederlande; das Paar residierte in Brüssel und genoss dort unmittelbaren Zugang zum florierenden örtlichen Kunstmarkt. Der Herzog ergänzte seine Sammlung durch die reichen Kollektionen der zeitgenössischen Kenner Charles Antoine Prince de Ligne in Brüssel, Gottfried Winckler in Leipzig und Cornelis Ploos van Amstel in Amsterdam und erwarb so drei der bedeutendsten Sammlungen niederländischer Zeichenkunst seiner Zeit. Ein höchst gewinnbringender Austausch von Werken gelang ihm 1796, als er aus der kaiserlichen Hofbibliothek weitere kapitale Blätter niederländischer Meister in seinen Besitz brachte. Um 1800 hatte er damit bereits jene rund 3500 Meisterzeichnungen niederländischer Provenienz zusammengetragen, die bis heute das Kernstück der reichen Bestände der Albertina bilden. Neben dem Rijksmuseum in Amsterdam enthält unsere Sammlung die bedeutendste Kollektion niederländischen Zeichenkunst weltweit.

Bruegel und seine Zeit
14. Februar bis 24. Mai 2023