Masatsugu Okada: Alles im Fluß

Unter dem Titel "Abstract Landscape" zeigt die Feldkircher Galerie Sechzig derzeit rund 25 unkonventionelle Landschaftsbilder des 1984 in der westjapanischen Millionenmetropole Osaka geborenen Malers Masatsugu Okada. Dem Künstler geht es bei seinen "Landschaften" keineswegs um eine naturalistische Nachahmung der Natur, sondern darum, den unaufhörlichen Fluss der Natur, ihre Kraft und Dynamik und ganz besonders jenes, was sich dem menschlichen Auge oftmals entzieht, wie etwa die Wandlungsfähigkeit der Atmosphäre, der Luft und des Wassers malerisch einzufangen.

Masatsugu Okada hat relativ spät begonnen, den Pinsel hauptberuflich zu schwingen und er ist dementsprechend auf dem internationalen Kunstparkett ein noch relativ unbeschriebenes Blatt. Andererseits ist es mittlerweile schon zu einer Art Markenzeichen der Galerie Sechzig geworden, Malertalente international aufzuspüren und mit Einzelausstellungen zu unterstützen.

Okada studierte in der alten japanischen Kaiserstadt Kyoto Kunstgeschichte, erst mit 31 Jahren übersiedelte er nach Düsseldorf, um an der dortigen Kunstakademie bei Stefan Kürten und Sabrina Fritsch Malerei zu belegen. Kürten ist bekannt für seine kompliziert aufgebauten Gemälde von Garten-, Wohn- und Stadtlandschaften, die er künstlerisch überhöht in teils romantisch-verträumte, teils beklemmende und surreal anmutende Bildwelten verwandelt. Fritsch wiederum beschäftigt sich spielerisch-experimentell mit den Grundkonditionierungen des malerischen Bildes auseinander, der Organisation des Bildraumes und der farbigen Erscheinung des Materials.

In Okadas Werk sind sowohl japanische als auch Einflüsse von Fritsch und Kürten spürbar, auch wenn er bereits zu einem unverwechselbaren eigen Ausdrucksstil gefunden hat. In Feldkirch präsentiert der Künstler mittel- bis großformatige Werke, die zwischen stimmungsvoller Beklemmung und ornamentaler Leichtigkeit changieren. Karlheinz Pichler führte mit dem japanischen Künstler nachfolgendes Gespräch.

Karlheinz Pichler: Mit ihrer Werkschau "Abstract Landscape" zeigen Sie erstmals Arbeiten von Ihnen in Österreich. Was bedeutet für sie die Ausstellung in der Galerie Sechzig persönlich?

Masatsugu Okada: Die Feldkircher Galerie hat eine lange Geschichte. Dort haben bereits so wichtige Künstlerinnen und Künstler aus Österreich wie Maria Lassnig, Hermann Nitsch und Erwin Wurm ausgestellt. Es bedeutet mir sehr viel, nun dort ebenfalls Werke zeigen zu können. 



Pichler: Sie haben zunächst in Kyoto studiert, sind dann aber an die Kunstakademie Düsseldorf übersiedelt. Was hat Sie dazu veranlasst, nach Deutschland zu wechseln?

Okada: In Kyoto habe ich zeitgenössische Kunst studiert. Deutschland ist eines der führenden Länder in der zeitgenössischen Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg. Also wollte ich einfach die Atmosphäre der Kunstszene hautnah erleben.

Pichler: Was hat Sie grundsätzlich dazu veranlasst, den Beruf eines Künstlers zu ergreifen? Ist dies biografisch, genetisch, sozial oder wie begründet?

Okada: Ich glaube, es ist von meinem Vater gekommen. Mein Vater hat zwar gar nichts mit Kunst zu tun. Aber als ich Kind war, hat er mir immer Werkzeuge gegeben, anstatt für mich Spielzeug zu kaufen, und beigebracht, wie man diese bedient, sodass ich selber Spielzeuge herstellen konnte. Es war wirklich spannend für mich, den Moment zu erleben, in dem eine Idee Wirklichkeit wurde. Irgendwann erwachte in mir der Wunsch, einen Beruf zu ergreifen, in welchem ich mit meinen Händen etwas schaffen kann.

Pichler: Haben Sie Vorbilder? Gibt es in der Kunstgeschichte eine Persönlichkeit, die sie besonders beindruckt hat?

Okada: Ganz zuvorderst steht da für mich Leonard da Vinci.

Pichler: Der Titel der Ausstellung in der Galerie Sechzig heisst ja "Abstract Landscape". Betrachtet man ihre früheren Landschaften, so sind diese ziemlich an die Realität angelehnt. Die Werke in der Galerie Sechzig wie zum Beispiel "Stream" hingegen sind völlig abstrakt bzw. ornamental gehalten. Offenbar sind Sie sehr rasch von der gegenständlichen in die abstrakte Malerei übergegangen. Was sind die Gründe für diesen Wechsel?

Okada: Ich bin nicht von der gegenständlichen in die abstrakte Malerei übergegangen. Und ich arbeite immer noch mit der Serie von Wolkenlandschaft. Ursprünglich stand die Idee dahinter, den Kreislauf von Wasser in verschiedenen Formen darzustellen. "Wolkenlandschaft" ist als erste Serie gekommen und "Stream" als zweite.

Momentan interessiere ich mich für Motive, die keine konkrete Form haben, so wie dies eben bei Wasser der Fall ist. Und um was es mir mit der Serie „Stream“ geht, ist laufendes Wasser darzustellen. Als ich in den Bergen einen Fluss beobachten konnte, gab es viele verschiedene Formen von Wellen sowie Spiegelungen von Farben auf der Wasserfläche. Dies hat für mich schon wie abstrakte Malerei ausgesehen. Daraus habe ich die Idee entwickelt, laufendes Wasser als abstraktes Bild zu malen.

Pichler: Manche „Landschaften“ wie die in Grautönen gehaltenen Wolkenformationen wirken ziemlich düster, um nicht zu sagen dystopisch. Andere, wie eben „Stream“, wirken sehr ornamental und farbintensiv. Wie ist diese Unterschiedlichkeit zu deuten? Verwenden Sie unterschiedliche Ansätze in Ihrer Werkstrategie?

Okada: Was sie andeuten, stimmt: Wolkenlandschaften sind für mich düster und auch dystopisch. Es handelt sich bei allen offensichtlich um Sturm-Wolken. Vielleicht liegt es daran, dass ich in dieser Serie die Natur als zerstörerische Kraft darstellen wollte.
Andererseits betrachte ich die Stream-Serie als Gegenteil. Für mich steht diese für Regeneration oder Erholung nach der Zerstörung.

Pichler: Ich habe dennoch den Eindruck, dass sowohl in Ihren früheren Landschaftsbildern, etwa den Waldszenerien, als auch in den neueren, abstrakten Landscapes Einflüsse der japanischen Kunst spürbar sind. Täuscht dieser Eindruck, und welche Bedeutung messen Sie grundsätzlich ornamentalen Elemente zu, wie sie etwa in den Bildern des „Stream“-Zyklus zu sehen sind?

Okada: Ihre Betrachtung ist im Kern richtig. In meinem Werken spiele ich immer mit kunsthistorischen Referenzen nicht nur japanischen Kunst, sondern auch anderen Kunst.
Beispielsweise habe ich in der Skyscape-Serie (Wolkenlandschaft) versucht, mit den Konventionen der Landschaftsmalerei Wolken darzustellen. Mit Konventionen, wie sie sowohl in der Landschaftsmalerei der Romantik als auch in der ostasiatischen Berglandschaftsmalerei spürbar sind.

Ornamentale Elemente, wie eben die Wellenstruktur in der „Stream“-Serie, werden von einem gestischem Pinselstrich, wie man dies auch von den Bildern des Abstrakten Expressionismus her kennt, geprägt. Dennoch sehe ich in diesen Stream-Bilder auch stilisierte Darstellungen von Wasser, so wie diese auch in der alten japanischer Malerei zu finden sind.

Pichler: Was den Duktus angeblangt, so kommt mir vor, dass in Ihren Gemälden sowohl kalkulierte, im voraus geplante, als auch gestische Maltechniken auszumachen sind. Wie stehen Sie selber dem Verhältnis zwischen Zufall und Kalkül gegenüber?

Okada: Der Spagat zwischen Kalkül und Zufall spielt in meinen Werken eine große Rolle. Es ist mir wichtig, nicht den gesamten Malprozess zu kontrollieren, sondern einen Bereich frei zu halten, in dem das Unvorhersehbare passieren kann. Bevor ich zu arbeiten beginne, lege ich immer Regeln fest, welche mich daran hindern, das vollständige Ergebnis vorherzusehen. Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht nur etwas neu erschaffen, sondern auch etwas neu für mich entdecken möchte.

Pichler: Steht für sie das Experimentieren mit formalen und farblichen Anliegen im Vordergrund oder der inhaltliche-narrative Aspekt?

Okada: Für mich sind beide Ebenen ganz wichtig.

Pichler: Wenn Sie eine Bildidee gefunden haben – fertigen Sie zuerst Skizzen an oder malen Sie gleich drauf los?

Okada: Ich fertige zunächst Skizzen an, allerdings schlechte, die ich anderen nicht zeigen kann.

Pichler: In Feldkirch zeigen Sie sowohl eher kleinformatige, aber auch großformatige Arbeiten. Welches Format steht Ihnen näher, respektive welche Funktion haben die unterschiedlichen Größenformationen?

Okada: Bei großformatigen Arbeiten kann der Betrachter die Arbeit erleben, als würde er in sie eintauchen. Je nachdem, ob man so ein Werk aus der Nähe oder Ferne betrachtet, ist der Eindruck sehr unterschiedlich. Daher muss man sich vor dem Werk hin und her bewegen.

Bei kleinformatigen Werken hingegen wird der Intimität mehr Raum gegeben, da der Betrachter näher an das Bild herantreten muß, um es anzuschauen.

Grundsätzlich ist es mir sehr wichtig, den Betrachtern unterschiedliche Seherlebnisse anbieten zu können.



Masatsugu Okada: Abstract Landscape
Galerie Sechzig, Feldkirch
Bis 4.2.2023
Do, Fr 16-19, Sa 12-16
https://www.galeriesechzig.com