Musica-sacra Passagen durch die schönsten Kirchen Roms

Im Petersdom Mozarts Krönungsmesse, im Pantheon ein hochkarätiges Vokalensemble, in der wunderbaren Kirche Santa Maria Maggiore das Mozart Requiem und Beethovens Neunte in der pompösen Basilika San Paolo fuori le Mura – überwältigt und beeindruckt kehre ich aus der Fülle einer Musica-sacra Woche in Rom zurück.

Originelle Eistimmung: das "Schlüsselloch". Allerweltsbekannt, nur nicht mir. Zufällig führt mich mein Weg von der Unterkunft am Aventin zum Bus an die Piazza Cavalieri di Malta, wo die Warteschlange vor einem geschlossenen dunkelgrünen Holztor immer länger wird. Wie sich herausstellt, wird hier bei der Villa des Malteserordens der Ausguck auf die Kuppel des Petersdoms wundersam inszeniert. Und dorthin bin ich soeben unterwegs, denn das "Festival di Musica e Arte Sacra" wird mit der Mozart´schen Krönungsmesse in der päpstlichen Basilika eröffnet. 

Der Petersplatz ist den Kolonnaden entlang doppelreihig umzingelt von Wartenden, uns Angemeldeten wurde ein eigenes Portal für den Sicherheitscheck zugewiesen. Doch dort stehen unzählige Japanerinnen, uniform in weißer Bluse/schwarzer Rock gekleidet. Nach eineinhalb Stunden sehen wir sie wieder, zwischen güldener Apsis und Bronzebaldachin (Bernini) unter der Domkuppel, wo wir inzwischen Platz genommen haben. Es ist der IlluminArt-Chorus aus Japan, der bereits zum zehnten Mal mit Dirigentin Tomomi Nishimoto zu den großen Chor-Orchesterparts bei diesem traditionellen Festival (22-mal schon!) anreist. Das erwartete Hochgefühl bleibt jedoch aus. Zu präsent die gigantomanischen Ausmaße dieses Gottestempels, wo sich der Mensch verliert, zu präsent die akustischen Herausforderungen, die Zeit einer Messfeier wird lang. Trotzdem verbringe ich noch Stunden in diesen heilgen Hallen, drücke mich haltsuchend den Säulenpodesten entlang und staune, stelle mich an für einen innigen Blick auf Michelangelos Pietà.

Zum ersten Mal wird das Pantheon bespielt. Beeindruckend ist der aus 125 n.Chr. erhaltene Rundbau, mit der imposanten Kuppel, deren Ausmaße (43,3 m) Bramante viele Jahrhunderte später bei der des Petersdoms knapp nicht erreichen konnte. Die bronzene Innenverkleidung plünderte Konstantinus II. im Jahr 663, die der imposanten Vorhalle wurde knapp tausend Jahre später unter Papst Urban VIII. für den Baldachin der neuen Peterskirche entwendet. Dass der heidnische Bau vor Zerstörung gefeit war, ist der Umwidmung (mit Wagenladungen von heiligen Gebeinen, siehe auch Artikel PS: Passagen) zur Sancta Maria ad Martyres zu verdanken. Hier stimmen die Proportionen, die Kuppel zur Vollkugel gedacht, lässt sich präzise im Raum einschreiben. 

Es regnet, der Boden unter der im Durchmesser neun Meter großen Öffnung ist nass, das ausgeklügelte antike Entwässerungssystem immer noch intakt. Jetzt ist sie spürbar, die Erhabenheit, wenn die acht hervorragenden Stimmen des Vokalensembles Guillou Consort zur Missa Redemptionis von Lorenzo Perosi (1872–1956) ertönen, klar und rein, der Dirigent Juan Paradell Solé auch an der Orgel. Die Klänge bringen den Raum zum Schwingen, der Raum die Musik in ferne Sphären. Beim Verlassen nehme ich die imposanten raumhohen Bronze-Eingangstore wahr, es seien die größten erhaltenen des Römischen Reichs.

Völlig fassungslos, weil unvorbereitet, betrete ich am nächsten Abend die Basilika San Paolo fuori le Mura. Die an der Gedenkstätte für Apostel Paulus Ende des 4. Jahrhunderts errichtete pompöse, durch achtzig(!) Säulen eingeteilte fünfschiffige Basilika war bis zum Neubau des Petersdoms die größte Kirche Roms. Nach dem gewaltigen Feuer am 15. Juli 1823 wurde sie in Kubatur und Grundriss dem ursprünglichen spätantiken Bau entsprechend wieder aufgebaut. Architekt Luigi Poletti ließ aber trotz gut erhaltener Teile in Mittel- und Seitenschiffen alles, inklusive des unbeschädigten Glockenturms, rigoros abreißen, was in der fehlenden Feinheit im Inneren offensichtlich wird, präsent sind die riesige vergoldete Kassettendecke und üppige Marmor- wie Alabasterarbeiten.

Der IlluminArt-Chorus bleibt diesmal in Sesselreihen vor dem Hauptaltar – an dem übrigens auch nur der Papst eine Messe zelebrieren darf – auf Warteposition, das Orchestra di Roma hat sich in der Apsis arrangiert, die Zuhörenden breiten sich im gesamten Querschiff aus. "Mission impossible" für Tomomi Nishimoto unter solch akustischen Bedingungen Beethovens Neunter gerecht zu werden, möchte man annehmen. Und es ist tatsächlich ein ungehörtes Klangerlebnis, wenn im eigenen Kopf die Melodiesequenzen der Violinen vervollständigt werden müssen, angestrengt herausgelöst aus dem Paukenwirbelteppich. Erst im vierten Satz, wenn sich die hundertvierzig japanischen Sängerinnen und Sänger (un)auffällig hinter dem Orchester formiert haben und die "Ode an die Freude" anstimmen, erklingt sie in voller Pracht, die Beethoven Symphonie, in wahrlich imposant erlebbaren Räumlichkeiten. "Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elisium, Wir betreten feuertrunken Himmlische, dein Heiligthum". Oh Mensch, wie klein bist du! Da bin ich ja beruhigt, dass die Medaillon-Reihe über dem Säulenkranz mit den 265 Portraits der Päpste noch mehr als zwanzig leere Stellen hat, denn der Legende nach kommt Christus wieder (heißt wohl Weltuntergang?) wenn kein Platz mehr für ein weiteres Medaillon vorhanden ist. Unter Johannes Paul II. gab es nämlich nur noch drei freie Stellen und man wurde kreativ.

Santa Maria Maggiore gilt als schönste und größte Marienkirche weltweit. Und hier finden wir sie, die Feinheit, die sorgfältige Ausgestaltung im Inneren. Die kostbare geschnitzte Kassettendecke aus dem 16. Jh. verdankt ihre reiche Vergoldung den ersten Beutezügen im gerade entdeckten Amerika. Die Serie von 36 das Hauptschiff über den Säulen umlaufenden Mosaiken mit Szenen des Alten Testaments aus dem 5. Jh. ist der älteste erhaltene Bilderzyklus der Bibel. Und auch das kunstvolle Apsis-Mosaik hinter dem Hauptaltar mit der Krönung Marias ist eine Besonderheit.

Vor dem prachtvollen Baldachin hat sich Chor und Orchester unter der Leitung von Ildebrando Mura zusammengefunden und sie zelebrieren das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart. Nun entsteht wirklich dieser andachtsvolle Klangkörper, präzise angeleitet, in bedächtigem Tempo, sodass dieser riesige Raum mit über tausend Zuhörenden für alle bestens hörbar erfüllt wird. Phänomenal.

Als Phänomen könnte man auch das Festival selbst bezeichnen und dass so etwas Hochkarätiges für jede und jeden frei zugänglich erlebbar ist. Organisiert wird das Festival von der Stiftung "Fondazione Pro Musica e Arte Sacra", die sich der Pflege von Kirchenmusik und Erhaltung der großartigen Kunstschätze, die zum Erbe der Menschheit gehören, verschrieben hat. Restaurierungsarbeiten von Kulturgütern und Meisterwerken der sakralen Kunst in den Basiliken, Stipendien für Christliche Archäologie und eben diese erhabenen Kirchenkonzerte an den außergewöhnlichsten sakralen Stätten werden von den Förderern und Wohltätern der Stiftung ermöglicht. 

 

XXII Festival Internazionale di Musica e Arte Sacra
vom 4. bis 7. November 2023
in Rom und im Vatikan

Päpstliche Basilika St. Peter im Vatikan
Wolfgang Amadeus Mozart, Die Krönungsmesse
Orchestra di Roma und IlluminArt Chorus,Tomomi Nishimoto, musikalische Leitung

Pantheon – Basilika Santa Maria dei Martiri
Lorenzo Perosi, Missa Redemptionis
Ensemble Guillou Consort,musikalische Leitung Juan Paradell Solé, Organist

Päpstliche Basilika St. Paul vor den Mauern
Ludwig van Beethoven, 9. Sinfonie 
Orchestra di Roma und IlluminArt Chorus, Tomomi Nishimoto

Päpstliche Basilika Santa Maria Maggiore
Wolfgang Amadeus Mozart, Requiem, Ave Verum 
Coro e Orchestra della Cappella Ludovicea Venerabile Cappella Musicale Liberiana Ildebrando Mura, musikalische Leitung

Chiesa di Sant’Ignazio di Loyola
Giacomo Carissimi, L´Esercizio dell´Oratorio
Ensemble Seicentonovecento, Capella Musicale di Santa Maria dell´Anima, 
Flavio Colusso am Harpsichord und musikalische Leitung