Von Frankfurt nach Abu Ghraib

22. August 2011 Kurt Bracharz
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Vor vierzehn Tagen dachte ich, in der Angelegenheit "Geld für Gäfgen" sei alles klar: Der Boulevard werde, seiner Funktion entsprechend, weiterhin atavistische Ressentiments pflegen, aber die Qualitätsmedien – soweit noch existent – würden auf höherem Niveau über Menschenrechte und Menschenwürde sinnieren.

Und jetzt findet man in der FAZ Leserbriefe von Professoren, die das "Schmerzensgeld" (es war keines, deshalb die Anführungszeichen) einen Justizirrtum und einen Skandal nennen oder die Frage aufwerfen, ob die "Menschenwürde" denn tatsächlich "das höchste Verfassungsgut" sei (wie es im Urteil hieß). Und in der "Presse" werfen ein Jurist und ein Architekt dem Mathematiker Taschner vor, seine in einem Artikel in dieser Zeitung erhobene Forderung nach "Pragmatismus" in der Rechtsanwendung führe direkt nach Abu Ghraib. Als Beispiel wird ein Taxifahrer genannt, der drei mutmaßliche Terroristen befördert hatte und deswegen im Dezember 2002 in einem afghanischen Lager zu Tode gefoltert wurde.

Der Vergleich hinkt insofern, als dem Kindermörder Gäfgen ja (noch) kein Haar gekrümmt, sondern Schmerzen lediglich angedroht wurden, dem mittelalterlichen, der Folter vorangehenden Usus des "Zeigens der Instrumente" vergleichbar. Nun ist auf den Soziopathen Gäfgen die Bezeichnung "Unmensch" als Metapher – aber eben nur als Metapher – durchaus zutreffend, biologisch und juristisch ist er aber ein Mensch mit Menschenwürde wie alle anderen auch, und damit durfte ihm nach der Europäischen Menschenrechtskonvention keine Folter angedroht werden, auch wenn er seinerseits die Menschenwürde seines kindlichen Opfers auf die schlimmste Art mißachtet hat.

Der Artikel des Juristen gegen Taschner erwähnt, dass die österreichische Regelung, dass zu mehr als einem Jahr unbedingt verurteilte Häftlinge kein Wahlrecht haben, vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für rechtswidrig erklärt wurde. Ja, warum soll Menschen wie Fritzl oder Gäfgen nicht eine Partei nach ihrem Geschmack wählen dürfen?