Rosemarie Castoro - Land der Wimpern

Mit der umfassenden Personale Rosemarie Castoro wird die neue Ausstellungshalle MAK Contemporary im MAK am Stubenring in Wien eröffnet. Das titelgebende Werk der Ausstellung, "Land of Lashes" (1976), wird der Installation "Land of Lads" (1975) gegenübergestellt. Mit beiden Arbeiten kommentierte Rosemarie Castoro (1939–2015) die verschiedenen Identitäten der Geschlechter und schuf Monumente fluider Gender-Formen. Rund um diese beiden zentralen Werke gruppieren sich in der Ausstellung Objekte, Skulpturen, Installationen, reliefartige Malereien, Zeichnungen und Texte, mit einem Schwerpunkt auf Castoros essenzielle Schaffensphase in den 1970er Jahren.

"Land of Lashes" entwickelte Castoro als serielle Anordnung überdimensionaler Wimpern, die zu bewegten Körpern mit Gliedmaßen mutieren. Die Installation "Land of Lads" besteht aus einer Vielzahl von Elementen. Das "Land der Jungs" – als Pendant zum Weiblichen – steht auf durchlässigem Boden. Einzelne Leitern biegen und strecken sich wie eine Reihe junger Bäume. "Die Leiter ist ein kulturelles Werkzeug. Der Wald ist eine Quelle für Nahrung. Ich, ein kulturelles Tier, mache Werkzeug, um Wälder zu bauen", so die Künstlerin. Rosemarie Castoro zählte zu den vielseitigsten Künstler:innen im New York ihrer Zeit und verknüpfte Text, Grafik, Zeichnung, Malerei, Bühnenbild, Skulptur und Performance. In einer Tagebuchnotiz an Carl Andre, gewidmet an "C" von "R", bezeichnete sie sich als "paintersculptor". In den 1970er Jahren begann sie, Skulpturen in den Raum zu setzen, die eigene grafische und malerische Qualitäten entwickelten. Mit ihrer experimentellen Arbeitsweise interpretierte Castoro die Malerei und Bildhauerei in ihrem Aktionsraum an der Schnittstelle zur Performance und schrieb ihre eigene Erzählung im Kontext der Minimal Art, Post-Minimal Art, Konzeptkunst und des Feminismus.

Ein Gruppenporträt mit Selbstauslöser, aufgenommen 1969 in SoHo, Manhattan, zeigt die Künstlerin im Atelier mit Carl Andre (mit dem sie 1964– 1970 verheiratet war), Lawrence Weiner, Richard Long, Sol LeWitt, Robert Smithson, Jan Dibbets u. a. Zu ihrem Kreis zählten auch Eva Hesse und Agnes Martin, sie fand Inspiration im modernen Tanz und arbeitete mit der Choreografin Yvonne Rainer zusammen. Rosemarie Castoros künstlerische Praxis ist verwoben mit den Positionen von Künstler:innen wie Eleanor Antin, Lynda Benglis, Harmony Hammond, Lee Lozano, Charlotte Posenenske oder Anita Steckel. Ein wesentliches Charakteristikum Castoros ist das Experimentieren mit surrealen und sexuellen Konnotationen. Künstlerisch reagierte sie auf gesellschaftliche und politische Umbrüche und Diskurse der 1960er und 1970er Jahre – der Ära der Bürgerrechtsbewegung, des Vietnamkrieges und der Frauenrechtsbewegung.

Laut der Kunsttheoretikerin und Kuratorin Lucy R. Lippard, die Castoros Werk früh begleitete und vermittelte, fokussiert sich Castoro auf die Linie als formale Lösung, sie projiziert den Körper in den Raum. Diese Übersetzung von grafischen und malerischen Mitteln in eine skulpturale Sprache und den Raum wird in der MAK Ausstellung in einer Reihe von Werken sichtbar. "Non-Correspondence Letter" (1969) fungiert als Malerei, Text und skulpturales Objekt und zeigt einen Wendepunkt in Castoros Œuvre.

Sie beginnt in Folge, variable Raumformen zu entwickeln, wie die "Freestanding Walls": Sie sind aus Paneelen zu Paravents zusammengesetzt, die zwischen Bildträger, Aktionsmalerei, Bühnenbild und Architekturelement changieren. Als Beispiel dafür ist in der Ausstellung die Installation "Two Curves" (1970) zu sehen. Sie besteht aus Bildflächen, die mit dynamischen Strichen versehen sind und auf das Gestische und Performative des malerischen Handlungsraums verweisen, verdeutlicht durch die Vermessung des Malens, wie ein Aktionsfoto zeigt.

In ihrer Werkgruppe "Brushstrokes" – in der Ausstellung präsentiert mit "Corner Cut", "Party of Nine" oder "Bangs" (jeweils 1972) – entstehen Konstellationen aus kraftvollen, geschwungenen oder geknoteten überdimensionalen Pinselstrichen. Hier verwebt Castoro den Strich in eine organische Form, die prozessual entsteht. Die reliefartigen Arbeiten aus Gesso, Modellierpaste und Marmorstaub, mit einem Besen oder einem Mopp gezeichnet und einer Säge geschnitten, breiten sich in choreografischer Dichte wie Glieder oder Haare in den Raum aus. Castoro selbst verwies auf die Erweiterung (ihres) Körpers in die Architektur.

Mit der Installation "Beaver’s Trap" (1977) – der Titel ist als Wortspiel zu verstehen (Castoro bedeutet auf Italienisch "Beaver" [Biber]) – entwickelte Rosemarie Castoro die Inszenierung einer Vagina dentata als ein Symbol weiblicher Selbstermächtigung. Mit zugespitzten, in ihrer natürlichen Form belassenen, von der Rinde befreiten Ästen beleuchtet sie die Ambivalenz ihrer eigenen Rolle als Frau und Künstlerin. Es geht um das eigene Territorium und um eine Zone, in der Sexualität frei gelebt werden kann. Die Installation steht in Verbindung mit weiteren Arbeiten aus Holz wie "Branch Dance" (1977), die sie als "Sculptural drawing" bezeichnet, und mit einem Projekt, entstanden in einem Workshop in der Natur mit Student:innen des Berry College, Georgia. In "Mountain Range" (2003–2006) übersetzte Castoro das performative Prinzip in eine Gruppe aus neu entwickelten Skulpturen, raumgreifenden Bögen und Organen aus Pinselstrichen, die sie nun aus Stahlblech faltete und zusammenschweißte.

Rosemarie Castoro (geboren 1939 in Brooklyn/NY, gestorben 2015) studierte Graphic Design am Pratt Institute in Brooklyn und engagierte sich in der New Dance Group. Zunächst widmete sie sich der abstrakten Malerei in einer polychromen Farbpalette. Ab 1968 wandte sie sich der Konzeptkunst und dem Minimalismus zu und verzichtete auf Farbe. Ab den 1960er Jahren arbeitete sie im Atelier in der Spring Street, das sie in den ersten Jahren mit Carl Andre teilte. Die Künstlerin schrieb pointierte Texte, von Notizen bis zu konkreter Poesie, die Leser*innen in ihre Denkmuster und Kommentare zu Kunst und Alltag eintauchen lassen.

Rosemarie Castoro
Land of Lashes
24. Mai bis 1. Oktober 2023