Tarzan in Pension

Man sagt, Miroslav Tichy habe niemals eine Frau berührt. Wahr ist, dass er sich niemals um eine Öffentlichkeit bemüht hat, nie um eine Ausstellung, nie um eine Publikation. Das alles erschien ihm nicht erstrebenswert. Die Welt sei sowieso nur Schein, eine Illusion. Und jeder erkennt nur das, was er erkennen will, behauptet er immer wieder. Tichy lebt in einem eigenen Kosmos, der nicht bestimmt wird von konventionellen Zielen.

Nach einer Ausbildung an der Prager Kunstakademie versuchte sich Tichy in den späten 40er Jahren zunächst als Maler und Zeichner. Doch die totalitären Verhältnisse und wohl auch persönliche Erlebnisse entfremdeten ihn mehr und mehr der offiziellen Kunst- und Kulturszene. Tichy zieht sich schließlich völlig zurück und beginnt eines Tages zu fotografieren. Mit einfachen, meist selbst gebauten Kameras stellt er Tag für Tag dem weiblichen Teil der Bevölkerung seiner tschechischen Heimatstadt nach. Drei Jahrzehnte lang.

Immer wieder steht Tichy am Zaun des Schwimmbades und schaut den Mädchen zu. Nach und nach vernachlässigt er sein Äußeres, trägt einen Bart, die Haare lang und verfilzt, seine Kleider sind Lumpen. Die meisten Kinder haben Angst vor ihm. Sie denken, seine Apparate seien nur Attrappen und in Wirklichkeit mache er überhaupt keine Fotos. Seine Wohnung gleicht der Werkstatt eines chaotischen Tüftlers. Es gibt keine Heizung. Im Winter ist es feucht und kalt. Die Bilder, Zeichnungen und Fotos liegen überall herum und schimmeln. Doch das alles spielt für ihn keine Rolle, weil Tichy die Vorstellung von etwas tatsächlich mehr zu interessieren scheint, als die realen Verhältnisse.

Tichy, der am 20. November 1926 in einem kleinen Dorf in Mähren geboren wurde, ist heute zugänglicher geworden und vertreibt neugierige Besucher nicht mehr mit der Axt. Das Fotografieren hat er Ende der 90er Jahre aufgegeben. Als ein Jugendfreund ihn vor einigen Jahren zu seiner ersten Ausstellung überredete, kam der Ball ins Rollen. Seitdem interessiert sich die Welt für den alten "Samurai".

Die unscharfen, verwackelten, zerknitterten, unter- oder überbelichteten, mit Fingerabdrücken, Schlieren von Entwickler- und Fixierflüssigkeit übersäten Fotos muten an wie die manischen Produkte eines ungelenken Dilettanten. Und auch der erotisch-obsessive Charakter des Gesamtwerkes und die sonderbare Lebensweise des Autors rücken Tichy zunächst in die Nähe künstlerischer Außenseiter. Doch dieses Werk lässt sich nicht kategorisieren, es ist konzeptuell, atmosphärisch, formal und inhaltlich völlig einzigartig. Die malerischen Fotografien sind voller Witz und Ironie, Tücke und Hintersinn, Drastik und Deutlichkeit. Wir kennen in der Geschichte der Fotografie nichts Vergleichbares.

Bereits vergangenes Jahr konnte das MMK für seine umfangreiche fotografische Sammlung ein Konvolut von 80 Arbeiten von Miroslav Tichy erwerben. Damit befindet sich die größte Werkgruppe des tschechischen Fotografen in einer öffentlichen Sammlung. Die Ausstellung im MMK ist zudem die erste Einzelausstellung dieses außergewöhnlichen Künstlers in Deutschland.

"Ich bin kein Maler. Kein Bildhauer. Kein Schriftsteller. Ich bin Tarzan in Pension."

"Ich bin so ein wild gewachsener Mensch, mich kann nicht mal der heilige Nepomuk oder Gott beeinflussen. Niemand."

"Ich esse keine Tiere, denn das Tier ist wie ich."

"Ich bin ein Samurai und es ist mein einziges Ziel, meine Gegner zu vernichten."


Miroslav Tichy. Fotograf
8. März bis 3. August 08