Direct Art

Der Wiener Aktionismus war eine der radikalsten künstlerischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts und hat an Brisanz bis heute nichts eingebüßt. Seine Hauptprotagonisten, Günter Brus, Hermann Nitsch, Otto Muehl und Rudolf Schwarzkogler haben Anfang der 1960er Jahre die Gattungsgrenzen der Malerei zugunsten von Aktionen mit realen Körpern, Objekten und Substanzen in Raum und Zeit überschritten. Ihr Anliegen war eine durch die künstlerische Form intensivierte und solcherart Bewusstsein schaffende "direkte" Konfrontation mit der sinnlich wie psychisch erfahrbaren Realität, und zwar in all ihren - auch tragischen, schwer erträglichen sowie vor allem gesellschaftlich verdrängten - Aspekten.

Dass die Wiener Künstler damals auch international am Puls der Zeit waren zeigt die Ausstellung "Direct Art" im MUMOK. Mit rund 120 Werken - überwiegend aus der Sammlung des MUMOK - beleuchtet sie die spezifische Position der Wiener Aktionisten im internationalen Kontext der realitäts-, körper- und gesellschaftsbezogenen Kunst der 1950er und 1960er Jahre. Die Konfrontation mit Beispielen von Gutai, Nouveau Réalisme, Fluxus, Pop Art und Happening macht evident, dass die Wiener Künstler trotz ihres Agierens in einem damaligen "Off" des internationalen Kunstgeschehens mit ihren Fragestellungen nicht nur auf der Höhe des aktuellen Diskurses standen, sondern mit ihrem tabulosen Agieren - insbesondere mit dem menschlichen Körper - ihre Zeitgenossen an Radikalität und Konsequenz verschiedentlich sogar übertroffen haben.

Chronologisch aufgebaut, gliedert sich die Schau in fünf thematische Stationen, die der Entwicklung des Wiener Aktionismus entsprechen und diesen mit Vorläufern sowie parallelen Positionen konfrontieren, aber auch auf seine Rolle als Vorreiter späterer Entwicklungen hinweisen. Am Beginn stehen jene Werke, in denen Nitsch, Muehl, Brus und Schwarzkogler ihren Ausstieg aus dem Tafelbild vollziehen. Sie werden Beispielen der Öffnung und Erweiterung der Bildfläche bei Allan Kaprow, Robert Rauschenberg, Niki de Saint Phalle, Piero Manzoni, Lucio Fontana und Shozo Shimamoto gegenüber gestellt. Ebenfalls zu sehen sind Dokumentationen früher Arbeiten, die den menschlichen Körper miteinbeziehen: Vertreter der japanischen Gutai Bewegung wie Saburo Murakami oder Kazuo Shiraga haben schon 1955 mit dem eigenen Körper agiert, Yves Klein arbeitete mit "lebenden Pinseln", die amerikanische Künstlerin Carolee Schneemann hat ihren nackten Körper in environmentale malerische Inszenierungen eingebunden.

Der folgende Bereich der Ausstellung widmet sich den Materialbildern und -objekten der Wiener Aktionisten wie auch deren stilllebenhaften Körper- und Objektarrangements für die Fotografie. Sie werden zu zeitgleichen Arbeiten der Nouveau Réalistes - darunter Jean Tinguelys Schrottplastiken, Daniel Spoerris Fallenbildern oder Christos Verschnürungsobjekten - in Verbindung gesetzt, aber auch zu frühen Abfallskulpturen des amerikanischen Künstlers Bruce Conner und einer Arbeit von Joseph Beuys.

Die wesentliche Rolle der Musik im Wiener Aktionismus ist ein bislang zu Unrecht kaum beachteter Aspekt. "Direct Art" präsentiert die Geräuschmusik, aber auch die sehr speziellen Musik-Notationen von Günter Brus, Otto Muehl und Hermann Nitsch sowie des Komponisten Anestis Logothetis, der eng mit den Wiener Aktionisten zusammengearbeitet hat . Kontextualisiert werden diese mit akustischen Arbeiten und Partituren von John Cage, Nam June Paik und anderen Fluxus-Künstlern, aber auch mit Musikbeispielen von Edgar Varèse und Pierre Boulez.

In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre rückten politische beziehungsweise gesellschaftskritische Aspekte ins Zentrum der künstlerischen Arbeit der Wiener Aktionisten. Die Gegenüberstellung von Aktionen wie "Vietnamparty" (1966) oder der legendären Veranstaltung "Kunst und Revolution" (1968) mit Arbeiten von Wolf Vostell - darunter ein Relikt seines Happenings "Miss Vietnam" (1967) - verdeutlicht wie sehr die Künstler insgesamt wesentliche Player und Mitinitiatoren der gesellschaftlichen Transformationsbewegungen am Ende der 1960er Jahre waren. Ebenso wird deren Reflexion massenkultureller Phänomene angesprochen.

Die letzte Abteilung der Ausstellung ist den Ende der 1960er Jahre im Wiener Aktionismus wesentlichen körperanalytischen Ansätzen gewidmet. Rudolf Schwarzkoglers Spätwerk oder Günter Brus extreme letzte Aktionen werden im Verein mit Werken von Bruce Nauman oder John McCarthy sowie der um diese Zeit unter anderem bei Valie Export oder Gina Pane einsetzenden feministischen Body Art gezeigt.

Der Ausstellungstitel "Direct Art" zitiert eine 1966 von Otto Muehl und Günter Brus für die Aktivitäten der Wiener Aktionisten geprägte Bezeichnung. Die Künstler sahen die vielfältigen Aspekte ihres Agierens mit Körpern und Gegenständen der "realen" Lebenswelt damit präziser umrissen, als mit dem damals für handlungsbezogene Kunstformen überwiegend gebräuchlichen Begriff "Happening". Sie wählten diesen Namen nicht zuletzt im Hinblick auf ihre Teilnahme am "Destruction in Art Festival" in London (1966), ihrem ersten und äußerst erfolgreichen gemeinsamen Auftreten auf internationaler Bühne. Günter Brus, Otto Muehl und Hermann Nitsch firmierten dort zusammen mit Peter Weibel und dem Filmer Kurt Kren als "Vienna Institute for Direct Art".

Die Ausstellung "Direct Art" ist Teil einer seit 2002 laufenden Serie von Sammlungsausstellungen, die den Wiener Aktionismus unter verschiedensten Blickwinkeln präsentiert. 2011 erscheint eine von Eva Badura-Triska und Hubert Klocker für das MUMOK herausgegebene umfassende Grundlagen-Publikation zum Wiener Aktionismus im Verlag Walther König.

Direct Art
Wiener Aktionismus im internationalen Kontext
12. November 2010 bis 29. Mai 2011