Glasklar?

Das Gewerbemuseum Winterthur beleuchtet in einer breit angelegten Übersichtsschau das Material Glas, das dank seinen schier grenzenlosen Eigenschaften und Erscheinungsformen stets von neuem überrascht. Die Ausstellung präsentiert den ganzen Facettenreichtum dieses widersprüchlichen Materials, sie zeigt den kulturgeschichtlichen und technischen Hintergrund ebenso wie die Entwicklung der unterschiedlichen Herstellungsverfahren zwischen handwerklicher und industrieller Glasproduktion, zwischen traditioneller Glasbläserei und modernsten Hightechverfahren. Ein wesentlicher Teil der Ausstellung widmet sich Anwendungen in Architektur, Design und Kunst.

Glas fasziniert und bezaubert - die jahrhundertealte Begeisterung für dieses geheimnisvolle und funkelnde Material ist wohl darauf zurückzuführen, dass Glas lange Zeit der einzige transparente Feststoff war. Dieser Eigenschaft hat der Werkstoff seine Kostbarkeit zu verdanken. Doch auch seine aussergewöhnliche Formbarkeit verlieh Glas schon immer eine besondere Bedeutung. Unterdessen erweitern neue Verfahren und Technologien die Möglichkeiten: So dient Glas beispielsweise der Herstellung von modernen Verbund-werkstoffen und Textilien oder es ist Bestandteil "intelligenter Werkstoffe", so genannter Smart Materials.

Die Ausstellung widmet sich diesem verblüffend widersprüchlichen Material, das in seiner Erscheinung scheinbar eindeutig, im Aufbau und seiner Verarbeitung aber äusserst komplex ist. Ursprünglich aus Quarzsand, Kalk und Pottasche gefertigt, bestimmen heute hunderte von Rezepturen die vielfältigen Eigenschaften. Glas ist hart und beständig, wird jedoch bei Wärmeeinwirkung weich, flüssig und verform-bar – es kann so fein und biegsam sein wie Papier und trotzdem als tragendes Element statische Funktionen in Gebäuden übernehmen – es zerspringt bei grossen Spannungen in tausend Stücke und hält als Glaskeramik den grössten Temperaturdifferenzen stand.

Der erste Teil der Ausstellung vermittelt den kulturgeschichtlichen und technischen Hintergrund der handwerklichen und industriellen Glasproduktion anhand von zwei gegensätzlichen Beispielen: Für die traditio-nelle Dorfglashütte steht das Städtchen Lauscha im Thüringer Wald mit einer umfangreichen Heimin-dustrie, wo im Verlagsystem Christbaumschmuck, Glasperlen und andere handwerklichen Glaserzeug-nisse produziert wurden. Daneben legten Ende des 19. Jahrhunderts Otto Schott, Ernst Abbe und Carl Zeiss in der Industriestadt Jena mit ihren wissenschaftlichen Untersuchungen den Grundstein für die moderne Glasindustrie.

Ein wesentlicher Teil der Ausstellung widmet sich den funktionellen und künstlerischen Anwendungen in Architektur, Design und Kunst. Diashows vermitteln die verschiedenen Phasen in der Architektur, in denen das Flachglas entscheidende Entwicklungen ausgelöst hat. Materialbeispiele und Videos zeigen den wechselseitigen Einfluss von Architekturgeschichte und Entwicklungen in der Flachglasproduktion, von der gotischen Kathedrale bis zu Funktionsgläsern in modernen Hightechbauten.

Im Bereich Design und Kunst zeigt eine Vielzahl von Objekten die mannigfaltige Gestaltbarkeit von Glas zwischen handwerklicher Fertigung und industrieller Herstellung, zwischen Gebrauchsglas und Kunst-objekt. Neben einigen Pionieren des Gebrauchsglases im 20. Jahrhundert wie Wilhelm Wagenfeld und Heinrich Löffelhardt werden die bis heute wirksamen, unterschiedlichen Traditionen des künstlerisch anspruchsvollen Designs am Beispiel skandinavischer und italienischer Manufakturen vorgestellt. Dies veranschaulichen aktuelle Arbeiten, welche in enger Zusammenarbeit von Designern mit professionellen Glasstudios entwickelt wurden. Zudem dokumentiert die Ausstellung eine Vielfalt von rein künstlerischen Werken, die seit den 1970er Jahren entstanden sind.

Die traditionsreiche Glashütte Lamberts in Waldsassen (DE) stellt im jahrhundertealten Mundblas-Verfahren das weltweit gesuchte, farbige Flachglas für Restaurierungen und Spezialzwecke her. Die Farbpalette ist mit 230 Standardfarben und 5000 Rezepturen enorm.

Zwischen 1863 und 1890 entstanden in der Dresdner Werkstatt der Glaskünstler Leopold und Rudolf Blaschka (Vater und Sohn) tausende morphologisch fehlerfreie Glasmodelle wirbelloser Meerestiere, die ihren Weg in Museen und Universitäten der ganzen Welt fanden. Die Blaschkas hinterliessen keine Schüler, das Wissen über ihre Technik ging verloren. Für das Gewerbemuseum wird eine neue Ballonleuchte mit einem Durchmesser von 1.60 Meter produziert.

Der Kunstglasbläser Falk Bauer hat sich in Lauscha auf die Herstellung von täuschend echt wirkenden Insekten und Käfern aus Glas spezialisiert. Im März 2012 arbeitet Falk Bauer in der Glasbläser-Werkstatt in der Ausstellung im Gewerbemuseum.

Glasklar? - Schillernde Vielfalt eines Materials
3. Dezember 2011 bis 28. Mai 2012